Verwaltungsgericht hält der Willkür die Tore offen
Die Fortsetzungsfeststellungsklage von 32 Bürgern, gegen die Räumung des Mittleren Schlossgartens anlässlich der Rodung von 250 Bäumen am 15.2.2012, wurde vom Verwaltungsgericht Stuttgart abgewiesen. Das geht aus der Pressemitteilung des Gerichts vom 16.3.2015 hervor. Die Verhandlung fand am Vortag statt. Es waren 23 KlägerInnen anwesend, die von einem versierten Verfassungsrechtler vertreten wurden. Denn es ging um die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit. Die steht nun in Stuttgart weiterhin zur Disposition.
Anlässlich der anstehenden Vernichtung des jahrhunderte alten Mittleren Schlossgartens für das unsinnige Projekt Stuttgart 21, versammelten sich einige Tausend Menschen am 14.2.2012 zum friedlichen Protest und blieben bis in die frühen Morgenstunden des Folgetages. Gegen 80 Versammlungsteilnehmer wurden Bußgelder ausgesprochen, weil sie sich nicht freiwillig aus dem Park entfernten.
Störer stören immer
Die Klage richtete sich gegen die Versammlungsauflösung, die von der Polizei gegen 2:30 Uhr ausgesprochen und durchgesetzt worden war. An die Verwehrung eines Grundrechts sind höchste Anforderungen gestellt. Aber man muss in Stuttgart den Eindruck haben, dass Grundrechte etwas für Papier sind, welches wohlbehütet in Bibliotheken verstaubt. Gelebte Demokratie, die ohne Protest undenkbar wäre, ist für die Verwaltung und die Polizei dann doch zu umständlich, zu schwierig und prinzipiell als störend angesehen. Und so ist der Störer, dieses Neutrum, immer eine Gefahr, dem man gar nicht früh und hart genug entgegen treten kann. Denn Störer stören immer.
Die Angst vor störender Wahrnehmung von Grundrechten war es auch, weshalb die Stadt Stuttgart bereits im Dezember 2011 ein Allgemeines Aufenthalts- und Betretungsverbot für den Mittleren Schlossgarten verkündete, also gleich mehrere Grundrechte per Verfügung außer Kraft setzte. Damals sah sich dieses Verwaltungsgericht immerhin genötigt, doch ein paar Auflagen zu erlassen, besonders bezüglich des Beginns und der Voraussetzungen dieses Grundrechtseingriffs. Im Sinne der Gewaltenteilung sollte es nicht im alleinigen Ermessen der ausführenden Polizei stehen, wann denn nun die Verbote greifen, sondern die verfügende Behörde sollte selbst ihre Absicht verkünden.
Nimmt man diese Auflage zum Maßstab der Beurteilung des tatsächlichen Einsatzgeschehens, kommt man nicht umhin, die Räumung als Unrecht zu bewerten. Auf einen Vertreter der Stadt wartete man vergebens – denen war es schlicht zu kalt. Der lästigen Pflicht zur öffentlichen Inkraftsetzung entledigte man sich per geheimer Weisung an die Polizei, den Einsatzbeginn um 3:00 Uhr vorzulesen. Aber die Polizei (10.000 Einsatzkräfte waren angekündigt) hatte wohl Angst vor zu vielen Störern, und begann dann schon mal um 2:30 Uhr. Jedenfalls war die Auflage des Verwaltungsgerichts das Papier nicht wert.
Damit hatte die Auflösung der Polizei aber einen wesentlichen Makel, denn die Allgemeinverfügung war noch nicht gültig, konnte nicht als Grund für den Grundrechtseingriff herhalten. Andere mögliche Gründe wären ein nicht beherrschbares Auftreten von Gewalt, eine allgemeine Not- oder Gefahrenlage, oder ein Versammlungsort, an dem eine Versammlung nicht genehmigungsfähig wäre. All das kann man eigentlich nicht konstruieren. Der Sammelbegriff für derartige Umstände ist „die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ – aber bei Grundrechseingriffen muss das eben schon genau dargelegt werden, und es dürfen keine weniger schweren Eingriffsmöglichkeiten bestehen.
Generalverdacht zur Verwehrung von Grundrechten
Leider ist das Verwaltungsgericht der sich selbstreferenzierenden Auflösungsbegründung der Stadt gefolgt. Deren Vertreter argumentierte, dass ja die Inkraftsetzung der Allgemeinverfügung möglicherweise durch die stattfindende Versammlung gestört werden könnte, es also zu Verstößen gegen die (noch nicht gültige) Allgemeinverfügung kommen würde, und deshalb die Versammlung eine Störung sei, die man dann auch auflösen kann. Es hat nur noch der Hinweis gefehlt, dass die Versammlung aus Fürsorge aufgelöst wurde, damit sich die lieben Teilnehmer nicht möglicherweise nachfolgend in einen Gesetzeskonflikt bringen.
Nimmt man diese Denkweise zum Maßstab, müssen Autofahrer in Stuttgart damit rechnen, dass man ihnen demnächst ein Fahrverbot auferlegt, weil sie eine halbe Stunde später falsch parken könnten, weshalb man auch das Bußgeld schon mal gleich kassiert.
Im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit sind mit solchen Argumenten der Willkür Tür und Tor geöffnet. Missliebige Veranstaltungen können jederzeit beendet oder verboten, die Versammlungsteilnehmer verfolgt werden, mit dem Hinweis auf eine zu unbekannter Zeit gültige Verfügung zum Beginn eines Polizeieinsatzes just am Versammlungsort – und alles auch noch im Ermessen der Polizei.
Des Irrsinns zweiter Teil
Mit der Klage der Störer sollte aber nicht nur die Rechtswidrigkeit der Versammlungsauflösung festgestellt werden, sondern folglich auch die angewandten Zwangsmaßnahmen gegen die Versammlungsteilnehmer. In ganz und gar schäbiger Art wies die Stadt ihre Verantwortung dafür an die Polizei, und damit das Land, ab, sie sei doch gar nicht die ausführende Partei im Geschehen gewesen, die Kläger würden ihre Klage gegen eine Unschuldige führen.
Man muss schon taub und blind zugleich sein, denn sämtliche Durchsagen wurden eingeleitet mit den Worten „im Namen der Stadt Stuttgart“, und speziell „Ansonsten muss die Polizei auf Anordnung der Stadt Stuttgart gegebenenfalls zwangsweise gegen sie vorgehen“.
Und man muss auch hierbei hinzufügen, dass diese Durchsagen nicht die Durchsetzung der noch nicht gültigen Allgemeinverfügung betrafen, sondern die ausgesprochene Versammlungsauflösung.
Abwarten der Begründung
Nun warten wir erstmal mit Spannung ein paar Wochen, bis die detaillierte Begründung des Beschlusses vorliegt. Danach sind vier Wochen Zeit, beim VGH ein Berufungsverfahren zu führen. Im Sinne des Schutzes unserer verfassungsgemäßen Rechte, und es betrifft in Stuttgart ja eigentlich jede politische Versammlung, besonders gegen S21, wäre eine Fortsetzung des Verfahrens wünschenswert. Und auch der Anlass, die unentschuldbare Vernichtung des Mittleren Schlossgartens, wäre gewichtig genug, sich zu einer Fortsetzung zu entschließen.
Ob dann alle Kläger noch mal antreten, oder nur noch in Vertretung einige Wenige, müssen wir mit unserem Anwalt zu gegebener Zeit beraten. Sicher werden dabei auch die Kosten eine Rolle spielen. Doch auch durch die Abweisung der Klage ist das Anliegen noch lange nicht erledigt.
Oben Bleiben !
Jochen Schwarz