Grober Unfug hat keine Rechtfertigung

Petermanns Flaschenpost – Erörterungstermin 7. Planänderung – Teil 11

Flaschen_kleinAm 15.7. beginnt also tatsächlich die Erörterung der Stellungnahmen und Einwendungen gegen die Planänderungen zur Grundwassermanipulation. Es wurden weit über 10.000 Einwendungen gegen dieses Vorhaben eingelegt. Ohne die Planänderung können die Baugruben für den Sargbahnhof nicht ausgehoben werden. Derzeit haben wir also faktisch einen Baustopp der zentralen Planabschnitte im Talkessel der Stadt. Weil dieser Erörterungstermin so überaus wichtig ist, werden wir in dieser Rubrik nun täglich kurze Informationen verschiedener Autoren zu der Erörterung anbieten. MOBILISIERT EUCH!

In der Tagesordnung des Erörterungstermins wird unter Punkt 9.) die „Planrechtfertigung“ genannt. Es handelt sich dabei um ein ganz wichtiges Element einer Planung und letztlich dem Planfeststellungsbeschluss. Eine Planung muss sich durch eine Erforderlichkeit ausweisen, sie muss geeignet sein, ein Planungsziel zu erreichen, und sie muss „vernünftiger Weise geboten“ sein. Ohne Planrechtfertigung ergibt sich ein „planerischer Missgriff“.

Allgemeinwohl und öffentliches Interesse

Bei Fernstraßen und Eisenbahnen ergibt sich die Erforderlichkeit aus dem Bundesverkehrswegeplan. Für den Stuttgarter Sargbahnhof trifft dieser aber nicht zu. Also ist im Planfeststellungsbeschluss von 2005 ein großes Kapitel vorweg gestellt, um die Planung für erforderlich und zielführend zu erklären. Ganz kurz: man konstruiert die Mangelhaftigkeit des Hauptbahnhofs (Kapazitätslüge) und die Erforderlichkeit, internationale Netze (Paris – Bratislava) machten einen Neubau erforderlich. Garniert wird das Erfordernis noch mit dem Anschluss von Flughafen und Messe. Gewichtig hinzu kommen städtebauliche Möglichkeiten und ganz viele Arbeitsplätze. Und natürlich die ökologische Komponente, den Autoverkehr deutlich zu reduzieren, durch den Ausbau des Schienenverkehrs (Leistungsbetrug).

Durch dieses Bündel definieren sich dann die Begriffe Allgemeinwohl und öffentliches Interesse, denen das geplante Projekt dient. Mit dem Planfeststellungsbeschluss ist das Paket faktisch auch festgezurrt und als zielführend anerkannt.

Die Abwägung

Es gibt aber auch immer Interessen, die einer Planung gegenläufig sind. Privateigentum muss in Anspruch genommen werden. Allgemeingüter, wie Denkmäler oder Erholungsräume, stehen einer Planung im Weg. Die Planer sind angehalten, solche Konfliktpotentiale zu erkennen und zu lösen (u.a. auch über den Weg der Erörterung). Gelingt das nicht, trifft letztlich die Genehmigungsbehörde eine begründete Entscheidung– die Folge einer Abwägung. Je höher der verletzte Anspruch zu werten ist, oder je häufiger eine Verletzung auftritt (Zahl der Betroffenen / Einwender), umso größer müsste ein anderes Interesse dem gegenüber stehen. Man greift also auf die Planrechtfertigung zurück, verwendet noch Attribute wie „überragend“ und „außerordentlich“ – und hat den Konflikt planungsrechtlich gelöst.

Diese Konstruktion findet man im bestehenden Planfeststellungsbeschluss sehr häufig. Auch daran wird deutlich, welches extreme Konfliktpotential der Sargbahnhof aufweist.

Ist der Planfeststellungsbeschluss ergangen, also die Genehmigung erteilt, spielen besonders die abgewogenen Konfliktpunkte eine wichtige Rolle, um verletzte Interessen zur gerichtlichen Klage zu bringen.

Strategien in der Erörterung

Die EinwenderInnen haben bekundet, dass ihre Interessen von der Planung betroffen sind. Es kommt also entscheidend darauf an, wenn die Konflikte nicht ausgeräumt werden können, dass die Genehmigungsbehörde zu Abwägungen gezwungen ist. Dass ein Konflikt weiterhin Bestand hat, kann letztlich nur dem Protokoll des Erörterungstermins entnommen werden. Würde das Protokoll ergeben, dass die schriftlichen Einwendungen erörtert wurden, die Planer Lösungen aufzeigten und gegen diese Lösungen keine Widersprüche entstanden, hätte es die Genehmigungsbehörde sehr einfach, zum Beschluss zu kommen.

Es dürfte deutlich sein, dass wenn jemand zwar ein gewichtiges Argument schriftlich vorgetragen hat, es jedoch versäumt, in der Erörterung den vorgeschlagenen Lösungen zu widersprechen, oder den Termin gar nicht wahrnimmt, dann gilt das Problem als gelöst. Eine Klagebegründung gegen den Beschluss könnte sich dann als sehr schwer erweisen.

Der planerische Missgriff ist offensichtlich

Käme man zu der Erkenntnis, dass das Bauprojekt nicht (mehr) erforderlich ist, oder die Ziele selbst nicht geboten erscheinen, oder gar dem Allgemeinwohl widersprechen – dann wäre eine Situation entstanden, in der andauernde Konflikte unlösbar sind – und damit die vorgelegte Planung auch nicht mehr zielführend sein kann.

An der Umsetzung und der Erforderlichkeit der Flughafenanbindung hat selbst die Bahn große Zweifel gelassen. Die „Magistrale“ hat sich als netter Werbegag entpuppt. Der Kopfbahnhof verfügt immer noch über freie, sogar erweiterbare, Kapazitäten, ein Engpass ist nicht erkennbar. Dagegen erscheint die Planung als nicht im erforderlichen Maße leistungsfähig. Angesichts dieser erheblichen Defizite stellt sich die „Verfahrensrechtliche Frage“, warum man überhaupt noch über 10.000 Einwendungen diskutieren will, wenn doch das Projekt, das dieses Konfliktpotential hervorruft, nicht mehr in „vernünftiger Weise geboten“ erscheint.

Auch die vorgelegte Planänderung selbst könnte sich in der Erörterung als nicht zielführend erweisen, weil die geplanten Systeme zum Pumpen nicht ausreichen, oder die Erhöhung der Pumpmengen gegen festgesetzte Auflagen verstößt, bzw. definierte Schutzziele nicht einhalten kann. Es könnte sich als ausgesprochen unvernünftig erweisen, die Pumpmengen zu verdoppeln, anstatt eine andere Bauweise vorzunehmen. Dann müsste der Termin aufgehoben werden und eine neue Planauslage erfolgen.

Das Projekt steht an einem Scheidepunkt. Es wird immer unwahrscheinlicher, die begonnene Umsetzung je fertig zustellen, immer fraglicher, die einst festgelegten Ziele zu erreichen. Ständig den Einsatz zu erhöhen, widerspricht jeder Vernunft!

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Hintergrundinformationen zum Grundwassermanagement und zur Planänderung finden sich u.a. in diesen Artikeln und Seiten:

Artikel sww, Ausgetrocknet vor dem ersten Pumpversuch
Artikel sww, Bewohner des Kernerviertels fordern umfassende Risikenaufklärung
Artikel sww, Grundwasserthema bleibt ein großes Problem
Artikel geologie21, Stellungnahme des Landesamtes für Geologie
Internetauftritt, Klage von Rechtsanwalt Arne Maier gegen das Planänderungsverfahren

Petermanns Flaschenpost – Artikel der Serie

Teil 1 – Jetzt nicht nachlassen!
Teil 2 – Zum Zuschauer degradiert?
Teil 3 – Wasser geht uns alle an!
Teil 4 – Ordnung für 3 Tage – die Tagesordnung
Teil 5 – „Ich will das wissen …“
Teil 6 – Stuttgarter Untergrund
Teil 7 – Bad Cannstatt – Bad Berg – Bad Nepp
Teil 8 – Die Hänge sind sicher
Teil 9 – Der Boden, auf dem wir stehen
Teil 10 – Experimentierfeld Schlossgarten

8 Gedanken zu „Grober Unfug hat keine Rechtfertigung“

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