Petermanns Flaschenpost – Erörterungstermin 7. Planänderung – Teil 10
Am 15.7. beginnt also tatsächlich die Erörterung der Stellungnahmen und Einwendungen gegen die Planänderungen zur Grundwassermanipulation. Es wurden weit über 10.000 Einwendungen gegen dieses Vorhaben eingelegt. Ohne die Planänderung können die Baugruben für den Sargbahnhof nicht ausgehoben werden. Derzeit haben wir also faktisch einen Baustopp der zentralen Planabschnitte im Talkessel der Stadt. Weil dieser Erörterungstermin so überaus wichtig ist, werden wir in dieser Rubrik nun täglich kurze Informationen verschiedener Autoren zu der Erörterung anbieten. MOBILISIERT EUCH!
Glaubensbekenntnisse und hoffnungsfrohe Wünsche, statt belastbarer Grundlagendaten und Feststellungen. Dieses Fazit muss man auch aus dem Gutachten zu Boden und Bäumen ziehen, dass zu den Antragsunterlagen gehört. Enthalten sind ein paar populärwissenschaftliche Abbildungen, unmaßstäbliche Karten und Kopien aus Katalogen, was der Experte so alles an Hightech auf dem Markt gefunden hat, und nun zum Einsatz bringen möchte. Erfahrungen hat sein Unternehmen, nach eigener Aussage am 19.12.2011 im Bürgerforum zu den Bäumen des Mittleren Schlossgartens, jedoch nicht.
Bäume vergessen nicht
Das Abpumpen des Grundwassers soll durch ein Überwachen der Bodenfeuchtigkeit beobachtet werden. Also ein offener Prozess nach dem Motto „Schauen wir mal“. Ist es zu nass, dann will man Wasser absaugen, ist es zu trocken, will man gießen. Ein Notfallszenario sucht man vergeblich. Wollte man die Großbäume des Schlossgartens durch Gießen am Leben halten, würde man die Umgebung eher zur Schlammwüste verwandeln. Aber auch hier, eine Beurteilung ohne Kenntnis der quartären und der Bodenverhältnisse, ist nicht möglich.
Großbäume haben sich an ihre Standortverhältnisse angepasst – sie haben ja schon 100 Jahre überlebt. In so langen Zeiträumen gibt es eine natürliche Spannweite, die ein Baum tolerieren kann. Eventuell würde er dort zwar nicht durch natürliche Vermehrung wachsen, aber einmal angepflanzt, konnte er mit den Verhältnissen überleben. Solche Fähigkeit zur Toleranz ist bei Baumarten aber unterschiedlich – eine solche Differenzierung fehlt in den Antragsunterlagen.
Aus den Jahresringen der im Mittleren Schlossgarten gefällten Bäume konnte man deutlich ablesen, dass die Bäume einen sehr hohen und sehr gleichmäßigen Zuwachs aufwiesen. Sie konnten die sehr gute Versorgung mit Grundwasser nutzen und damit Trockenperioden ausgleichen. Die mehrhundertjährigen Bäume der Schlossgartenanlagen haben sich an die Standortverhältnisse angepasst und die notwendigen Wurzelsysteme in die Tiefe ausgebildet. Sie sind auf das Grundwasser angewiesen und können sich nicht mal eben umgewöhnen.
Bäume sterben langsam
Eine Schwächung der Wasserversorgung bedeutet auch immer einen Mangel an Nährstoffen. Ein permanentes Gießen von oben, verändert auf Dauer (wir reden ja über geschätzt 10 Jahre) ebenfalls die Nährstoffversorgung. Auch ein Aufstau von Wasser, der ebenfalls durch die Manipulation des Grundwassers vorkommen kann, schädigt einen Baum, denn er droht zu ersticken. Die Verschlechterung der Standortverhältnisse, die durch die Verdoppelung der Grundwasserentnahme ausgelöst wird, kann zu erheblichen Langzeitschäden durch Pilze und andere Schadorganismen führen.
Die Bäume sind es gewohnt, sich von unten zu versorgen. Die Bäume sind keine Topfpflanzen und Stuttgart kein Gewächshaus, in welchem man mit allerlei technischem Gerät natürliche Verhältnisse simulieren kann. Ohne Gutachten zum Quartär und zum Boden bleibt das ein gewagtes Experiment. Regularien mit Schwellwerten, ob zum Beispiel das Abpumpen oder Einleiten von Wasser unterbrochen werden muss, weil Bäume vertrocknen oder im Wasser ersticken, gibt es nicht. Es liegt auf der Hand, dass man im Zweifel immer für die Millionen und den Baufortschritt entscheiden wird.
Natur kostet nichts
Genau da liegt auch das Manko des Natur und Artenschutzes – es gibt kein kategorisches „Nein“ gegenüber einem Eingriff. Es gibt nur eine Aufrechnung von Kosten. Erst wenn die verpflichtenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu teuer zu werden drohen, erst dann würde man über Änderungen einer Planung mal nachdenken. Ansonsten ist Naturverbrauch immer billiger, immer ausgleichbar, egal für welchen Schwachsinn, und sei es durch noch so fragwürdige Ersatzparadiese.
Die Vorstellung, man könne mit Argumenten des Naturschutzes ein milliardenschweres Großprojekt stoppen, ist trügerisch bis falsch. Die Milliarden wiegen schwerer, die Naturschutzauflagen bezahlt man aus der Portokasse solcher Projekte. Aber, Verstöße gegen Naturschutzprinzipien können ein Projekt demaskieren und in der öffentlichen Meinung so entwerten, dass es zu Veränderungen kommt. Das ist eine reale Gefahr – und der begegnen Projektbetreiber mit aufwendiger Argumentation und imposanten technischen Vorkehrungen.
Wenn in 20 Jahren keine Juchtenkäfer mehr da sind, wenn dann immer mehr alte Bäume absterben oder erkranken, wird es viele Erklärungen und viel Bedauern dafür geben. Vielleicht beschenkt ein neuer Bahnvorstand dann auch einen anderen Bürgermeister mit ein paar neuen Bäumen. Doch solche Verluste sind in menschlichen Lebens- und Zeiträumen nicht ausgleichbar. Es geht ganz klar und einzig um die Frage, was sind wir bereit, auf den Opferaltar zu legen?
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Hintergrundinformationen zum Grundwassermanagement und zur Planänderung finden sich u.a. in diesen Artikeln und Seiten:
Artikel sww, Ausgetrocknet vor dem ersten Pumpversuch
Artikel sww, Bewohner des Kernerviertels fordern umfassende Risikenaufklärung
Artikel sww, Grundwasserthema bleibt ein großes Problem
Artikel geologie21, Stellungnahme des Landesamtes für Geologie
Internetauftritt, Klage von Rechtsanwalt Arne Maier gegen das Planänderungsverfahren
Petermanns Flaschenpost – Artikel der Serie
Teil 1 – Jetzt nicht nachlassen!
Teil 2 – Zum Zuschauer degradiert?
Teil 3 – Wasser geht uns alle an!
Teil 4 – Ordnung für 3 Tage – die Tagesordnung
Teil 5 – „Ich will das wissen …“
Teil 6 – Stuttgarter Untergrund
Teil 7 – Bad Cannstatt – Bad Berg – Bad Nepp
Teil 8 – Die Hänge sind sicher
Teil 9 – Der Boden, auf dem wir stehen
9 Gedanken zu „Experimentierfeld Schlossgarten“