Grundwasserthema bleibt ein großes Problem

Größte anzunehmende Panne – oder die Lücke zum Ausstieg
(Ein Gastartikel von Dipl.-Ing. Jochen Schwarz) 

Am 26.6.2012 musste die Deutsche Bahn vor dem Umwelt- und Technikausschuss die Karten auf den Tisch legen. Man kann schon von runter gelassenen Hosen reden. Die siebte Planänderung zu Stuttgart 21 bestätigt, was eigentlich schon lange bekannt ist: es muss mehr als die doppelte Menge an Grundwasser abgepumpt werden, als im Planfeststellungsbeschluss beantragt und genehmigt wurde. Das Eisenbahnbundesamt kommt zu dem Ergebnis, dass für diese massive Änderung ein Planänderungsverfahren mit Beteiligung der Öffentlichkeit erfolgen muss. Das Änderungsgesuch wurde also nicht einfach durch gewunken. Schon das ist ein erstaunlicher Erfolg.Da es häufig zu Verwirrungen kommt, sei hier zuvor auf die fünfte Planänderung verwiesen. Ursprünglich bestand das Grundwassermanagement aus mehreren einzelnen Anlagen, die um den Baubereich verteilt errichtet werden sollten. Die Bahn beabsichtigte eine andere Bauweise mit nur einem Technik-/ Pumpgebäude. Ein Planänderungsverfahren wurde dazu nicht durchgeführt, der BUND auch an nichts beteiligt. Als der Naturschutzverband dieses Versagen eher zufällig feststellte, wurde dagegen geklagt, woraus der bis heute bestehende Baustopp für das GWM resultierte.

Die Wasserhaltung ist für die Baumaßnahmen ein viel diskutiertes Problem, das im Planfeststellungsbeschluss einen großen Umfang einnimmt. Die Dynamik von wasserführenden und- sperrenden Schichten ist im Stuttgarter Untergrund besonders kompliziert. Denn aus der Tiefe drückt Mineralwasser gegen die oberen Schichten, in denen das Grundwasser fließt. Dieses bestehende „Gleichgewicht“ darf nicht zerstört werden. Deshalb soll die zur Trockenlegung der Baugruben notwendige Wassermenge wieder in den Untergrund gedrückt werden. Dieser theoretische Kreislauf ist jedoch kein kontinuierlicher Prozess. Es muss und wird Spitzenmengen und -zeiten geben, die aus bestimmten Bauabschnitten resultieren.

Besonders der Nesenbach macht hier Probleme, da er unter dem Bahnhofstrog hindurch geführt werden muss. Die Bautiefe beträgt bis zu 30 Meter. In der Bauzeit, die ja kaum wirklich terminiert werden kann, muss besonders viel Wasser abgepumpt werden. Es kommt durch solche Bautätigkeiten zu Überschussmengen an Wasser, die nicht wieder zurückgeführt werden können, sondern in den Neckar geleitet werden.

Für den Planfeststellungsbeschluss war hier eine Menge von 3 Millionen Kubikmeter Wasser beantragt und genehmigt worden. 500.000 m³ sollten in den Neckar abgeführt werden. Natürlich geschah das auf der Basis von Fachgutachten. Die Risiken dieser Maßnahme sind auch bekannt gewesen, wurden aber stets abgewogen gegen das „überragende öffentliche Interesse“ an dem Gesamtprojekt.

Die große Überraschung
Nachdem der Südflügel abgerissen ist und der Schlossgarten zerstört, 177 wertvolle Bäume gefällt worden sind, stellt sich die Situation des Grundwassers nun ganz anders dar. Die Bahn hält es für unumgänglich, 6,8 Millionen Kubikmeter abzupumpen (+125%), allein im Talkessel. Die in den Neckar einzuleitende, dem Grundwasserhaushalt also entnommene Menge, wurde ebenfalls erhöht, auf 760.000 m³ (+50%). Um diesen Mengenzuwachs bewältigen zu können, ist der Bau eines weiteren Pumpgebäudes beantragt worden.

Auch für die anderen Projektabschnitte muss Grundwasser abgepumpt werden. Die dazu vorgelegten Zahlen sind ebenfalls erschreckend. Für den Planfeststellungsabschnitt 1.5 (Feuerbach / Bad Cannstatt) erhöht sich die zu pumpende Menge zwar „nur“ um 100.000 m³ auf 1,9 Millionen Kubikmeter, die in den Neckar abzuführende Menge wächst jedoch auf das Vierfache, 680.000 m³. Im Pfa 1.6a (Ober-/ Untertürkheim) wird die beantragte Menge zwar eingehalten, sie ist aber mit 3,7 Millionen Kubikmeter, die nahezu vollständig in den Neckar abgeführt werden, erschreckend hoch.

Wasserhaltung                                  Eff. GW-Entnahme
Plan (m³)   Neu (m³)   Veränderung  Plan (m³)   Neu (m³)   Veränderung
PFA 1.1    3.000.000  6.800.000  +127 %          500.000      760.000     +52 %
PFA 1.5    1.800.000  1.900.000  +6 %              170.000      680.000     +300 %
PFA 1.6a  4.300.000  3.700.000  -14 %             3.800.000   3.600.000  -5 %
Summe    9.100.000  12.400.000                      4.470.000    5.040.000
Tabelle 1, Quelle DB Projektbau

Überraschend ist das alles nicht. Die Bürgerbewegung hat lange und immer wieder auf diese intern bei der Bahn kursierenden Zahlen hingewiesen. Und es ist vollkommen klar gewesen, dass diese nun wirklich nicht geringfügigen Änderungen zu Konsequenzen in der Genehmigungslage führen müssen. Besonders nach dem glasklaren Urteil zum Baustopp des GWM, womit das EBA verpflichtet wurde, vorgeschriebene Änderungsverfahren auch vollumfänglich durchzuführen.

Es ist schon eine besondere Dreistigkeit, mit diesem Änderungsantrag und diesen „neuen“ Zahlen an die Öffentlichkeit zu gehen, nachdem die maximale Zerstörung von Kulturdenkmälern und Natur erreicht ist. Wieder einmal hat sich eine Landesregierung als williger und billiger Gehilfe erwiesen. Zu den umfassenden Zerstörungen auf Basis eines Gestattungsvertrages hätte es nicht kommen dürfen.

Der frühe Skandal …
Andere Großprojekte, wie die Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen, offenbaren ihre Mängel erst zu einem sehr späten Zeitpunkt. Häufig ist dann besonders viel Geld von Nöten, um überhaupt zum Abschluss zu kommen. Die Vermutung ist nicht falsch, dass diese Mängel bereits früh hätten bekannt sein können, aber aus Kostengründen und politischem Interesse verschleiert werden. Stuttgart 21 hat eine Liste von 121 Risiken, die bis heute verheimlicht werden. Stuttgart hat aber auch einen bestehenden, leistungsfähigen Bahnhof.

Es ist vollkommen unerklärlich, dass bei einem derart umstrittenen Projekt wie Stuttgart 21, ein wesentlicher Antragsgegenstand nachträglich geändert werden soll. Die Verdoppelung einer Antragsgröße stellt eine neue Qualität dar, die vom ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss nicht mehr gedeckt sein kann, gerade in der für das Mineralwasser kritischen Zone. Es erstaunt, dass die damaligen Gutachter so vollkommen daneben gelegen haben. Der Verdacht einer gefälligen Begutachtung drängt sich geradezu auf. Und dieser Verdacht ist bei Stuttgart 21 ja schon häufiger zu erfahren gewesen. Wir erinnern uns an Leistungsfähigkeit und Haltezeiten, an Kostenschätzungen, an Notfallkonzepte …

Die gestern aufgestellte Behauptung, es komme durch die Änderung nicht zu veränderten Kosten, ist definitiv falsch. Das zu errichtende Gebäude mag die Bahn ja noch her schenken. Das Wasser bekommt sie bestimmt von der Stadt geschenkt. Und den zum Pumpen der doppelten Menge benötigten Strom gibt das Land als Eigentümer von EnBW bestimmt auch umsonst. Trotzdem fragt man sich, wie denn die doppelte Menge durch das errichtete Rohrsystem hindurch soll. Dazu kann man den Druck erhöhen, aber sind die installierten Rohre und Pumpen dafür ausgelegt, wird sich dadurch nicht das erneute Einbringen in den Untergrund erschweren? Sollte tatsächlich keine Kostensteigerung resultieren, lässt das nur den Schluss zu, dass bereits im Wissen um die größeren Dimensionen gebaut wurde.

… ist auch eine Chance
Die Meldungen des gestrigen Tages gehen in einem bedeutenden Detail auseinander. Zunächst hieß es, das EBA verlange ein Planänderungsverfahren mit umfänglicher Beteiligung. Andere Quellen berichteten von einem erforderlichen neuen Planfeststellungsverfahren. Im ersten Fall würde man sich sehr eng auf die Änderung beziehen. Eine öffentliche Erörterung, die Beteiligung von Betroffenen, kann jedoch trotzdem notwendig und möglich sein. Für ein erneutes Planfeststellungsverfahren käme der ganze Bauabschnitt auf den Tisch.

Dass die Gutachter gestern besonders hervorhoben, dass Bauschäden gutachterlich nicht zu erwarten sind, lässt jedoch vermuten, dass es ein Änderungsverfahren beabsichtigt ist … und man den Kreis der Betroffenen und damit Klage berechtigten möglichst von vornherein klein halten möchte. Über die, ebenfalls erwartbare, Beeinträchtigung des Naturhaushaltes äußerten sie sich nicht.

Die Grundwasserhaltung ist für ein derartiges Tiefbauprojekt elementar. Die Abweichungen vom Planfeststellungsbeschluss stellen eine neue Qualität dar. Er hat daher seine Gültigkeit verloren, das Baurecht kann nicht mehr bestehen. Das würde für jeden gelten, der plötzlich feststellt, die doppelte Bauhöhe oder Baufläche zur Realisierung seines genehmigten Projektes zu benötigen.

Wir müssen daher nachdrücklich und öffentlich wirksam auf einen neuen Planfeststellungsbeschluss drängen. Der Wasserhaushalt der Stadt Stuttgart, das Mineralwasser, die Vegetation, die öffentlichen und privaten Gebäude sind von der beantragten Änderung betroffen. Es müssen also vollständige Beteiligungs- und Klagerechte gewährt werden, damit evtl. resultierende Fehler im ursprünglichen Beschluss korrigiert werden können.

Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die zahlreichen Ausnahmegenehmigen und Abwägungsentscheidungen des Planfeststellungsbeschlusses.
Ein Zitat von Seite 346 zum Mineralwasser:

In der Innenzone sind die Verbote des § 4 Abs. 4 und 8 der Verordnung [zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen] betroffen, da im Bereich der Talquerung über die gesamte Bauzeit hinweg zeitlich versetzt, aber deutlich über der zulässigen Dauer von 6 Monaten liegend und oberhalb der zulässigen Entnahmeraten und Gesamtfördermengen Grundwasser aus Schichten oberhalb des Unterkeupers entnommen wird.

Die Kernzone wird zwar nur am Rande tangiert (Umbau Stadtbahn unter der Schillerstraße und vor allem der Düker des Nesenbachkanals), die Eingriffe erfüllen jedoch die Verbotstatbestände des § 5 Abs. 2 bis 4 der Verordnung.

Die erforderlichen Befreiungen können erteilt werden da die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 und 4 der Verordnung erfüllt sind. Das Vorhaben ist von überwiegendem öffentlichen Interesse, wie bereits mehrfach ausgeführt, damit erfordern Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Abweichungen.

Mit dieser Begründung, dem öffentlichen Interesse, ist man 2005 noch durchgekommen. Im Lichte heutiger Erkenntnis über die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 und dem bestehenden Kopfbahnhof, handelt es sich bei dem Projekt um einen Rückbau der Schieneninfrastruktur. Die Personenstromanalyse von 2009 und die Analyse von Prof. Engelhardt / wikireal haben diesen Umstand nachweisbar gemacht. Da ein Schienenrückbau rechtswidrig und auch politisch nicht gewollt ist. kann es kein öffentliches Interesse daran geben. Auch das Ergebnis einer Volksabstimmung über eine Variante des Finanzierungsausstiegs kann diese Rechtfertigung für Ausnahmegenehmigungen nicht ersetzen.

Gehen wir erneut massenhaft auf die Straße
Wir wissen, wem die Stadt gehört. Deshalb fordern wir

  • Vollständig neues Planfeststellungsverfahren mit umfänglicher Bürgerbeteiligung
  • Vollständiger Baustopp bis zum Verfahrensende
  • Vollständige Klärung der Leistungsfähigkeit von Sargbahnhof und Bonatz-Bahnhof
  • Einstellung sämtlicher Verfahren, die gegen Bürger geführt werden, welche gegen das Betrugsprojekt protestierten

ES GAB UND GIBT KEIN BAURECHT FÜR S21

27.06.12 Dipl.-Ing. Jochen Schwarz

Quellen:
20120626_grundwassermanagement_praesentation_uta.pdf
PFA_1_1.pdf