Stuttgarter Untergrund

Petermanns Flaschenpost – Erörterungstermin 7. Planänderung – Teil 6

Flaschen_kleinAm 15.7. beginnt also tatsächlich die Erörterung der Stellungnahmen und Einwendungen gegen die Planänderungen zur Grundwassermanipulation. Es wurden weit über 10.000 Einwendungen gegen dieses Vorhaben eingelegt. Ohne die Planänderung können die Baugruben für den Sargbahnhof nicht ausgehoben werden. Derzeit haben wir also faktisch einen Baustopp der zentralen Planabschnitte im Talkessel der Stadt. Weil dieser Erörterungstermin so überaus wichtig ist, werden wir in dieser Rubrik nun täglich kurze Informationen verschiedener Autoren zu der Erörterung anbieten. MOBILISIERT EUCH!

Die Geologie Stuttgarts wird vielfach zum Thema in der Erörterung werden. Die Kenntnis und Bewertung der natürlichen Gegebenheiten hat wesentlichen Einfluss auf das Erkennen und Bewältigen von Risiken durch das Abpumpen und Einleiten von Grundwasser. Denkbare Probleme stehen in ganz engem Zusammenhang mit wirtschaftlicher und eigentumsrechtlicher Betroffenheit. Das Heilquellenschutzgebiet kann zerstört werden, Häuser können Risse bekommen, Hänge können ins Rutschen geraten.

Geologie im Grobschnitt

Um das Verständnis dessen, was in der Erörterung zu diesen Punkten diskutiert wird, etwas zu erleichtern, wagen wir einen Versuch, kürzester Erklärungen. Damit soll jeder ein Gefühl bekommen, mit welcher Basis seine geäußerten Bedenken zusammen hängen.

Die Geologie Stuttgarts ist von Schichtformationen geprägt. Diese Formationen haben sich in den letzten ca. 200 Millionen Jahren gebildet. Vorstellung Wasserglas, einen Löffel Erde rein, umrühren, warten. Es bildet sich eine sortierte horizontale Schichtung („sölig“) am Grund.

Lagert sich an einem Ort jährlich nur ein zehntel Millimeter Material ab, ergäbe sich ein Paket von 20 km Höhe in 200 Mio Jahren. Daraus folgt, dass ein großer Teil der Ablagerungen durch Wasser und Wind wieder fortgetragen wird. Die immer noch verbleibende, beachtliche Menge wird stark durch die immer neuen Auflagen verdichtet.

Die Erde ist im Inneren plastisch. Die schweren Pakete sinken also immer weiter ins Erdinnere und werden weiter verpresst, zumal im Inneren einer Kugel der Platz auch immer beengter wird. Da die Erde eher rund ist, kommt es dabei an der erstarrten Oberfläche zu Rissen („Klüfte“) und Verschiebungen der einstmals horizontalen Schichten. Vorstellung Orange, mit Daumen hineindrücken, Schale reißt. Oder auch drei Papierbögen um die Orange wickeln, es kommt zu Faltungen, Verschiebungen und Schrägstellungen („steile Lagerung“).

An der Erdoberfläche rubbeln Wind und Wasser alles ab, was sich steil erhebt. Wenn es vertikale Risse gibt, können sich die Schichtpakete unterschiedlich bewegen, an der einen Seite steigen sie auf, an der anderen sinken sie weiter ein, denn die Erosion an der Oberfläche verändert die Gewichte der Pakete.

Risse und Rutschungen

In den Gesteinsschichten ist, je nach Zusammensetzung, mehr oder weniger Wasser enthalten. In Stuttgart ist meist ein, mehr oder weniger, hoher Gipsanteil enthalten. Sie können Wasser leiten oder sperren. An einem vertikalen Riss, der verschoben ist („Verwerfung“), stoßen aber Schichten mit unterschiedlicher Wasserleitfähigkeit aneinander, ähnlich einer Treppenstufe. In solchen Zonen kann sich Wasser stauen und auch benachbarte Schichten aus anderem Gesteinmaterial auflösen, oder z.B. den Gipsanteil in quellenden Anhydrit wandeln. Es kommt zu Hohlräumen, die bis an die Erdoberfläche reichen können und dann einstürzen. Das sind die Dolinen im hiesigen Kalk- und Gipsgestein.

Dolinen werden im Laufe der Zeiten mit Erosionsmaterial gefüllt, das in seiner Zusammensetzung wesentlich lockerer und grundverschieden von der gewachsenen Umgebung ist. Die Risse selber, aber auch die Dolinen, können horizontal voneinander getrennte Schichten verbinden. Sie sind grundsätzlich als Schwachstellen des geologischen Aufbaus anzusehen. Unerkannte „geologischen Störungen“ machen Eingriffe grundsätzlich riskant, z.B. durch dann nicht erklärbare Wasserwegsamkeiten, wie das Bohrloch 203 zeigte.

Zu Rutschungen kommt es, wenn Schichten eine „steile Lagerung“ aufweisen. Vorstellung von einem Bretterstapel, den man an einer Seite leicht anhebt. Handelt es sich um verschieden rauhe Bretter aus unterschiedlichen Holzarten, ist ihre Haftung auch verschieden. Kommt Wasser zwischen zwei Brettern ins Spiel, beginnen sie noch leichter zu Rutschen.

Damit sind die wesentlichen geologischen Verhältnisse in Stuttgart umschrieben. Dazu stelle man sich nun die Lagerung von Wasser in diesen (trotz allem porösen) Schichten vor und die Verhältnisse, die im Wasserartikel beschrieben sind. Aus Geologie und Hydrologie wird Hydrogeologie.

Die nur scheinbar genaue Simulation

Das komplizierte und veränderliche Verhältnis von Wasser und Gestein erkennt man nur aus Probebohrungen und Pegelmessungen und dem Vergleich mit anderen Standorten. Zwischen den Messpunkten wird vermutet und gerechnet. Man entwickelt Modelle, heute ganz bunt mit Computern und in 3-D. Jede Messung, jede Änderung des Rasters an Messstellen führt auch zu Abweichungen in den Modellen. Man braucht also eine große Datenbasis um Besonderheiten zu erkennen oder Zufälle auszuschließen.

Die siebte Planänderung selbst gibt das Beispiel für diese Problematik. Erst durch weitere Messungen sei man darauf gekommen, nun 125% mehr an Wasser abpumpen zu müssen.

Diese Modelle sind für jene, die sie nicht erstellt haben, eine Black-Box. Es kommt wesentlich darauf an, was in die Computer eingestellt wird, und wie die Daten gewichtet werden. Letztlich kann jede Aussage aus so einem Modell produziert werden und glaubhaft erscheinen, solange man die Eingangsdaten und ihre Verarbeitung nicht kennt. Es ähnelt dem manipulierten Stresstest, der kein Ausweis der Glaubwürdigkeit der Angaben der Bahn ist.

Aus der Schlichtung wissen wir, dass die geologischen Untersuchungen der Bahn in einer Geheimkammer in Frankfurt lagern. Es bleibt deshalb nichts anderes, als den bunten Grafiken zu misstrauen, und sich eher an der Logik, der Physik und der Erfahrung zu orientieren. Und ganz wichtig: es gibt keinen Grund, die vermeintlichen Experten nicht auszufragen. Sie müssen die Gefahrlosigkeit ihres Vorhabens nachweisen.

Material für die Erörterung

Die geologischen Verhältnisse werden üblich in Profilen dargestellt. Die dabei verwendeten Farben (annähernd) und Zuordnungen zu Formationen, deren Abkürzungen und wesentliche Eigenschaften, sind in dieser Tabelle enthalten. Sie ist nach Entstehungsalter, und damit nach Schichtung, sortiert, vom jüngsten oben, bis zum ältesten unten.

Geologie_Eroerterung
Dies ist nur eine grobe, schematische Ansicht. Alle Formationen des Gipskeuper (km1) enthalten Gips, in unterschiedlichen Anteilen, können also ausgelaugt werden (Hohlräume bilden sich) oder aufquellen.
Das Quartär und menschengemachte Auffüllungen bedecken die geologischen Formationen fast überall (außer an Hängen).

In eigener Sache:

Wir freuen uns über angeregte Diskussionen und Kommentare, hier und im Parkschützer-Forum. Wir bemühen uns, alles zu lesen, und offene Fragen in dieser Artikel-Serie zu behandeln. Wir freuen uns auch, wenn sich weitere Autoren mit eigenen Beiträgen beteiligen möchten oder Hinweistexte für die weitere redaktionelle Bearbeitung geben.

Hintergrundinformationen zum Grundwassermanagement und zur Planänderung finden sich u.a. in diesen Artikeln und Seiten:

Artikel sww, Ausgetrocknet vor dem ersten Pumpversuch
Artikel sww, Bewohner des Kernerviertels fordern umfassende Risikenaufklärung
Artikel sww, Grundwasserthema bleibt ein großes Problem
Artikel geologie21, Stellungnahme des Landesamtes für Geologie
Internetauftritt, Klage von Rechtsanwalt Arne Maier gegen das Planänderungsverfahren

Petermanns Flaschenpost – Artikel der Serie

Teil 1 – Jetzt nicht nachlassen!
Teil 2 – Zum Zuschauer degradiert?
Teil 3 – Wasser geht uns alle an!
Teil 4 – Ordnung für 3 Tage – die Tagesordnung
Teil 5 – „Ich will das wissen …“