Verwaltungsgericht 21: Schwer verkalkuliert

Streitwert auf 320.000 € angehoben

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat nun seine Urteilsbegründung zur Klage gegen die Versammlungsauflösung am 15.02.12 an den Anwalt der Kläger übersandt. Die Frist für Rechtsmittel gegen das Urteil läuft bis zum 5.5.2016.

Die Klage gegen die Versammlungsauflösung zur Räumung des Mittleren Schlossgartens in der Nacht des 15.2.2012 wurde abgewiesen – soweit war ja schon berichtet worden. Die nun nachgelieferte Begründung zu dem Urteil ist so schwach, dass es immerhin Hoffnung gibt, erfolgreich dagegen vorzugehen.

Völlig daneben lag das Verwaltungsgericht nicht nur bei der Beurteilung des Geschehens, sondern auch bei der vorläufigen Festsetzung des Streitwertes. Der wurde nun glatt verdoppelt. Man sieht, die Vorträge der Kläger waren doch wohl sehr gewichtig, die Schmach für Stadt und Landesregierung im Falle einer Verurteilung wäre ja auch riesig. Der erhöhte Streitwert bedeutet nun auch höhere Kosten für Gerichtsgebühren und Anwälte – Recht ist ein teures Gut.

„Störer“ streiten für die Versammlungsfreiheit – Verwaltungsgericht Stuttgart, 15.3.2016

Der vorsitzende Richter hatte sich zum Schluss der Verhandlung den Hinweis nicht nehmen lassen, dass dem Verwaltungsgericht der Wert der Versammlungsfreiheit sehr bewusst sei, wie man an der deutschen Wiedervereinigung doch sehen könne. Damit hatte er sicher recht. Aber es scheint doch so, dass dem Verwaltungsgericht eine friedliche Revolution auf der Basis von freien Versammlungen eher ein Graus ist.

Zumindest ist in den Augen dieses Gerichts eine Versammlung von wenigen Tausend Menschen bereits eine so schwere Störung, dass mit polizeilicher Gewalt gegen die freie Inanspruchnahme von Bürgerrechten jederzeit und grundlos vorgegangen werden darf. Der als Bahnhofsumbau versteckte Immobiliendeal auf Staatskosten duldet keinen Verzug wegen Grundrechtsgedöns …

Und erinnern wir uns:  als die ersten Bäume des Mittleren Schlossgartens gepflanzt wurden, war Deutschland mehr ein Nebeneinander verbandelter Adelsgeschlechter von göttlichen Gnaden, als ein verfasster Staat mit Bürgerrechten.

Die Bäume des Schlossgartens sind tot – und unsere verfassungsmäßigen Rechte? Selbstverständlich wollen sich die KlägerInnen nicht durch Ignoranz und Geldforderungen einschüchtern lassen. Die Vernichtung des Schlossgartens ist eine Jahrhundertschande und das willkürliche Einschreiten gegen den Protest ist prinzipiell nicht hinnehmbar, weil durch dieses Vorgehen freie Versammlungen beliebig durch Behörden unterbunden werden können. Eigentlich kann der Streitwert dem realen Geschehen gar nicht angemessen hoch genug sein.

Jochen Schwarz