Offener Brief an den Vorstand der SPD

Stuttgart, 23. Februar 2013
An den Vorstand der SPD Baden-Württemberg

Liebe Genossinnen und Genossen,

am 8. November 2012 hatten wir den SPD-Landesvorstand gebeten, ein SPD-internes Gespräch zwischen Befürworter/innen und Kritiker/innen des Projekts „Stuttgart 21“ in Gang zu bringen. Am 26. November teilte Tina Werner uns mit, die stellvertretende Landesvorsitzende Leni Breymaier und die Generalsekretärin Katja Mast seien bereit, am 23. Januar 2013 mit uns zu sprechen. Nach diesem dann sehr offenen und freundlichen Gespräch hat uns Euer Brief vom 31. Januar 2013 wieder ziemlich enttäuscht.

Seit Jahren weigert sich die SPD-Führung (ebenso wie CDU und FDP), die kritischen Einwände gegen Stuttgart 21 zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft zu prüfen – sei es zu den Falschaussagen der Bahn über Kosten und Leistung, zu den Mängeln bei Planfeststellung und Brandschutz oder zu den Risiken fürs Bad Cannstatter Mineralwasser. Bisher wurden diese Einwände gegen das Projekt fast ausnahmslos von den Fakten bestätigt, doch die SPD-Führung unterstützt das Projekt weiter ohne Rücksicht darauf.

Dabei hat die Bahn spätestens mit dem Ziehen der „Sprechklausel“ am 18. Februar den bisherigen Finanzierungsvertrag selbst außer Kraft gesetzt. Damit hat sie eingeräumt, dass die finanzielle Grundlage für das Projekt weggebrochen ist. Ein Weiterbau von S 21 ist daher nicht mehr gerechtfertigt – ja, er wäre sogar rechtswidrig! Wer sich darüber hinwegsetzt, verletzt die Pflicht zur Betreuung fremder Vermögensinteressen und muss mit strafrechtlicher Verfolgung wegen des Tatbestands der Untreue (Paragraf 266 StGB) rechnen.

Deshalb appellieren wir an die SPD-Führung im Land, alles dafür zu tun, damit die Projektpartner ernsthaft über den „qualifizierten Abschluss“ des Projekts „Stuttgart 21“ entsprechend Paragraf 2 des Finanzierungsvertrages verhandeln. Dazu gehört, dass ausreichend Mittel bereitgestellt werden, um den Stuttgarter Hauptbahnhof zu sanieren und zu ertüchtigen.

Ihr schreibt, die SPD sei nicht „die Bahnpartei“, und wollt die „Einhaltung des Kostenrahmens … noch deutlicher als bisher herausstellen“. Tatsächlich vertreten führende Sozialdemokraten jedoch zusammen mit der CDU öffentlich die Interessen der Deutschen Bahn AG, nicht die des Landes. Wie anders sind sonst die Aussagen zu verstehen, Baden-Württembergs Landesregierung könne entgegen der Koalitionsvereinbarung Mehrkosten für den Flughafenbahnhof übernehmen?

Dies widerspricht zum einen der klaren Botschaft in Eurem Brief: „Der Kostendeckel gilt, einen Mehrbeitrag des Landes über die angesetzten 930 Millionen Euro hinaus wird es nicht geben. Hier sollen keine Unklarheiten an unserer Haltung bestehen.“ Zum anderen müsste die SPD-Führung eigentlich wissen, dass die von der Bahn seit mehr als einem Jahrzehnt geplante Filderstrecke samt Flughafenbahnhof bis heute nicht genehmigungsfähig ist und dass etwaige Mehrkosten für einen genehmigungsfähigen Flughafenbahnhof alleine von der Bahn zu tragen sind.

Zudem fragen wir uns, warum führende SPD-Politiker ins Blaue hinein behaupten, ein Abbruch von Stuttgart 21 würde drei Milliarden Euro kosten. Detaillierten Rechnungen von Fachleuten zufolge liegen die Ausstiegskosten unter 400 Millionen Euro.

Im Wahljahr 2013 wollt Ihr Themen wie Bildung, Mieten und Wohnen „in den Vordergrund rücken“. Das ist allerdings schwer zu vermitteln, wenn mit der SPD zu Lasten sozial Benachteiligter 11.000 Lehrerstellen gestrichen und Wohnungen der LBBW an ein Privatunternehmen verkauft werden. Zugleich aber will die SPD-Führung zusammen mit der CDU Unsummen für einen unterirdischen Bahnhof ausgeben.

Inzwischen werden aus dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG und aus der Bundesregierung Zweifel an Stuttgart 21 laut, und die Frage nach kostengünstigeren Alternativen wird gestellt. Die Äußerungen aus der SPD-Führung im Lande lassen aber nicht erkennen, dass die SPD diese Entwicklung ernst nimmt. Es genügt nicht, das Kommunikationsverhalten der Bahn zu kritisieren und sich ansonsten vorbehaltlos für Stuttgart 21 auszusprechen.

Die derzeitigen Umfrageergebnisse lassen leider für die SPD in Baden-Württemberg keine Trendwende seit der Landtagswahl 2011 (mit dem schlechtesten Wahlergebnis unserer Partei seit sechzig Jahren) erkennen. Das liegt nicht nur, aber auch an Eurer Haltung zu Stuttgart 21. Die Verantwortung für unsere Wahlergebnisse liegt bei der SPD-Führung im Land – auch für die Bundestagswahl 2013!

Wir nehmen enttäuscht zur Kenntnis, dass die SPD-Führung im Lande keine ernsthafte Bereitschaft zeigt, sich mit uns – den SPD-Mitgliedern gegen S 21 – zusammenzusetzen und sich um einen gemeinsamen Weg zu bemühen. An Sozialdemokrat/innen, die in dieser Frage eine vermittelnde Rolle einnehmen könnten, mangelt es jedenfalls nicht.

Mit freundlichen Grüßen
für die SPD-Mitglieder gegen S 21

Klaus Riedel- Frank Distel – Hermann Schmid- Günter Klepser – Axel Tschorn- Peter Conradi

Kontakt: (ist der Redaktion bekannt)

0 Gedanken zu „Offener Brief an den Vorstand der SPD“

  1. Geschichte wiederholt sich. Bereits in der Weimarer Republik hatten die angehenden Politiker nicht genug Rückgrad um sich zu Entscheidungen durchzuringen. Das Ergebnis kennen wir leider nur all zu gut.

    Bei dem derzeitigen Desaster das wir allerorten zur Genüge jeden Tag sehen und erleben stellt sich bei mir (Lieschen Müller) die Frage warum die Politiker nicht handlungsfähig sind. Haben sich alle so in Korruption verstrickt dass sie nicht mehr vor und zurück können? Warum kassieren sie Ihre Diäten und sonstigen Einkünfte und „Ehrungen“ ohne sich einzusetzen für was wir sie gewählt haben?

    Hoffen unsere „Führ“ungeskräfte auf eine starke „Hand“ die ihre Untaten vollends abdeckt und dafür dann die „absolute Macht“ für sich in Anspruch nehmen will.

    Böse Worte und Zeichen? Die Polizei bei Ihren Einsätzen zeigt doch genau wo es hingeht? Oder nicht?

    Wehret den Anfängen.

    Sagt den Leuten ganz genau was wir n i c h t wollen.

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