Während der Räumungen des Mittleren Schlossgarten (link zu meiner Dokumentation) am 14./15.02.2012 und der Straße am Schlossgarten (link zu meiner Dokumentation) beim Schlossgartenflügel des Hauptbahnhof Stuttgart am 12./13.01.2012, schlossen sich zwei Frauen mittels Ketten und Bügelschlösser an das Gebäude und die Bäume.
Nun nach zwei Jahren, in denen weder an der Stelle des Gebäudes noch an der Stelle der Bäume je irgend etwas gebaut wurde, kamen diese Fälle vor Gericht. Das Urteil sowie die Beweggründe nun hier bei sww.
Die folgenden Zeilen zum Urteil schreibt Nina Picasso unter Vorbehalt der schriftlichen Urteilsverkündung aus dem Gedächtnis:
„Der Richter betonte zuvor ausdrücklich, dass unsere Fälle Einzelfallentscheidungen sind! Dazu sagte er auch, dass dieses Urteil die rein rechtliche Geschichte beleuchtet und nicht das Projekt S21 selbst – ist auch klar! Er muss sein Urteil inhaltsneutral fällen. Nichtsdestotrotz fanden unsere Einlassungen und Schlusswörter große Gewichtung, weil sie deutlich machten, dass wir sehr viel Zeit und Engagement gegen das Projekt reinsteckten…. Myriam: Umwandlung der Anklage Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gegen eine Ordnungswidrigkeit wegen Nichtverlassen einer aufgelösten Versammlung und unerlaubte Ansammlung. Bußgeld 150 Euro und ein Anteil an den Gerichtskosten muss getragen werden. Bei mir sagte er dasselbe, nur mein Bußgeld betrug 200 Euro, weil ich mehr verdiene.
Er sagte, dass wir keine Kriminalstraftat begangen hatten. Unsere Ankettaktionen dienten einzig und alleine dem Kommunikationszweck und nicht dem Zweck, dass wir uns nur von der Polizei räumen lassen wollten. Er sagte auch, dass wir natürlich nicht die Fällungen oder den Abriss verhindern wollten, das sei klar illusorisch gewesen, das wussten wir. Unsere Aktionen erfolgten zeitnah mit den kommenden Fällungen und Abriss. Wir hatten unsere Taten eingeräumt, nur einzig in der Frage der Schlüssel „verhielten wir uns auffällig wortkarg“. Wir handelten ausdrücklich nach dem Aktionskonsens. Auch wenn wir vielleicht nicht die Versammlungsauflösung verstehen konnten, so sind wir doch so erfahren, dass wir wissen, dass wir die Versammlung verlassen mussten, aber das hatten wir eh durch die Ankettung und der fehlenden Schlüssel nicht tun können, deshalb bedingter Vorsatz. Er führte nochmals die Ausführungen der Polizisten an: Einsatz war Routine, rascher Einsatz, wir waren nicht abweisend oder beleidigend, wir waren kooperativ, sie hatten den Eindruck, Protest ist auf öffentliche Aufmerksamkeit gerichtet.
Schwerpunkt ist hier die rechtliche Würdigung des Widerstands §113. Er führte den Normalfall vor Augen. Ein Mensch, der von der Polizei festgenommen werden soll ist in einem psychischen Erregungszustand, er wehrt sich z.B. durch Festhalten an einem Gegenstand. Es ist die Lex Specialis vor der Nötigung, die härter bestraft wird. Der Widerstand bedingt aber einen „Kontaktbereich“ zwischen Polizist und Beschuldigten. Auch die zeitliche Nähe ist wichtig. Beides war bei uns nicht der Fall, wir waren Stunden vor dem eigentlichen Polizeieinsatz angekettet. Großaufgebot war weit entfernt. In beiden Fällen kam die Hilfe erst ca. 6 Stunden später. Zudem sei im Video ersichtlich gewesen, dass wir beide erleichtert waren, endlich befreit zu werden.
Es wurde die Nötigung überprüft: Eine Vorbemerkung des Richters: Der Gewaltbegriff im juristischen Sinn ist anders bewertet als im landläufigen Sinn. Wir unterlagen einem Subsumtionsirrtum (Anm. d. Red. Definition), wir betonten mehrfach, wir hätten keine Gewalt ausgeübt.
Laut einem BVG-Urteil von 24.10.2001 , 104 Seite 92 (?) wurde durch die physische Barriere im juristischen Sinne Gewalt ausgeübt. Er sagte aber auch, dass das nach wie vor umstrit ten ist. Also hätten wir im juristischen Sinne Gewalt ausgeübt. Jetzt kam aber die Frage der Verwerflichkeit, erst dann ist das Straftatswürdig. Es ist eben nicht automatisch rechtswirksam. Er bewertet die Ankettung inhaltsneutral. Unser Zweck der Ankettung war eindeutig der Kommunikationszweck! Es war keine „Selbstjustiz“, nur wenn es möglich gewesen wäre, direkt eine Baumfällung zu verhindern, wäre die Verwerflichkeit im strafrechtlichen Sinne gegeben gewesen. Bei uns war dieses Ansinnen aussichtslos. Unsere Art und Auswirkung der Ankettung war vergleichsweise gering, es hatte Bagatellcharakter, so schilderten es auch die Polizisten., mögliche Auswirkungen auf die DB, keine. Etwaige geringe Nachteile, sozial adäquate Nebenfolgen sind zu billigen. Wir waren aber ratz fatz losgelöst. Er sagte, wir waren selbst in viel höherem Maße betroffen, da wir Stunden in der Kälte ausharren mussten, einem menschlichen Bedürfnis (Toilettengang) nicht nachkommen konnten. Unsere Aktionen waren in engem sachlichen Zusammenhang und wir handelten uneigennützig.
Er führte nochmals Beispiel-Urteile an.
Für ihn liegen die niedrigste Sanktionsstufe – Ordnungswidrigkeiten vor- da der Fall Südflügelankettung bei Ordnungswidrigkeiten bereits verjährt war, hatten wir nur für die Parkankettung das Bußgeld erhalten. Was ich interessant fand war die Aussage des Richters, dass ja Bußgelder in diesem Fall bis zu 1000 Euro betragen könnten. In unserem Fall, so meinte er, hätten wir erhebliche persönliche Opfer gebracht, weil wir so lange relativ bewegungslos in der Kälte und im Falle des Parks im Schneeregen ausharren mussten. Das hat er in die Höhe der Bußgelder eingerechnet. Der Richter machte alle Seiten darauf aufmerksam, dass man ab jetzt nur noch Revision einlegen kann.“
Hier die Einlassung und Schlusswort von Myriam Rapp (link) und Einlassung von Nina Picasso (link) sowie das Schlusswort von Nina Picasso (link) und Ihr kompletter selbst verfasster Bericht (link) zur Verhandlung. Bitte hier auch auf die Dankesworte achten welche Nina Picasso sehr wichtig sind!
( Alexander Schäfer auf schaeferweltweit.de )