Knoten im Rohr – oder Knopf im Ohr

Petermanns Flaschenpost – Erörterungstermin 7. Planänderung – Teil 18

Flaschen_Advent_kleinDas Regierungspräsidium scheint diese Erörterung als reine Privatveranstaltung zu verstehen, bei der es nur um den eigenen Erkenntnisgewinn zur Abarbeitung einer Pflichtaufgabe geht. Deshalb wurde nur noch ein Fortsetzungstag angesetzt. Man möchte offenbar einem formalen Klagegrund vorbeugen, weil der zunächst angesetzte TOP 7 nie aufgerufen wurde. Dass die anderen Tageordnungspunkte (inhaltlich viel bedeutender) nie beendet wurden, scheint man hinnehmen zu wollen. Und, ganz unüblich, auch den Standard „Sonstiges“ lässt man unter den Verhandlungstisch fallen.

Ist das alles Strategie? Sollen die Menschen vorab gezwungen werden, ihre bisher nicht (ausreichend) behandelten Einwände schriftlich zu formulieren, bevor sie überhaupt keine Berücksichtigung finden? Das hätte dann zur Folge, dass man am 12.12. nur noch mit wenigen Teilnehmern im Saal säße, weil die anderen eben das Vorbringen ihrer Anliegen für aussichtslos halten. Die verordnete Beschränkung der Erörterung widerspricht dem Sinn einer solchen Veranstaltung. Es geht ja gerade darum, sich im öffentlich wahrnehmbaren Diskurs über strittige Punkte auszutauschen. Und was strittig ist, hat nun mal mit den EinwenderInnen zu tun, weniger mit der Auffassung eines Regierungspräsidiums, und noch weniger mit der Vorhabensträgerin. Wenn es nur nach deren Auffassung ginge, hätte man sich das alles sparen können, und ein paar Schriftsätze ausgetauscht. Das ist nicht hinnehmbar.

Hochprozentiges haben wir schon erreicht

Fassen wir noch mal zusammen, also das Destillat aus 1.200 Seiten, aus dreimal Flaschenpost:

  • Die Grundwassermodelle sind für Prognosen unbrauchbar. Das betrifft die Kontrolle eines laufenden Betriebes, und ebenso alle gutachterlichen Aussagen, die auf Basis dieser Modellaussagen getroffen wurde, Absenktrichter, Beweissicherungsgrenzen, Schutz der Vegetation, Schutz der Quellschüttung und -qualität.
  • Das Stuttgarter Wahrzeichen Bahnhofsturm wird ausschließlich auf fast hundertjähriger Papierbasis dem Risiko des Einsturzes ausgesetzt, anstatt ein Millionstel der geschätzten Projektkosten einzusetzen.
  • Eine im Wasserrecht der BRD einmalige Genehmigung zur unbegrenzten Wasserentnahme soll bewilligt werden.
  • Selbstverständliche Umweltverträglichkeitsprüfungen sollen mit juristischen Spitzfindigkeiten und Täuschungen umgangen werden.
  • Der notwendige Abwägungsspielraum für behördliche Entscheidungen, z.B. zur Enteignung von Privateigentum, ist entfallen, weil ein Gemeinwohlinteresse am Projekt nicht mehr gegeben ist.

Allein diese Punkte, ausführlich in den Erörterungsgrundlagen belegt, reichen aus, einen sofortigen Baustopp zu begründen. Jeder Cent, jede Zerstörung eines Bordsteins, ist nicht mehr zu rechtfertigen.

Und dabei sind das nur die wesentlichen, die größten Punkte, die ich hier aufgezählt habe. Es gibt zahlreiche weitere Einwände, die gut belegbar aufzeigen, dass die Manipulation des Grundwassers zu unbeherrschbaren Zuständen im Stuttgarter Untergrund, mit katastrophalen Folgen an der Oberfläche, führen kann. Es ist wie beim Dammbau: man beginnt mit den großen Brocken – aber ohne die kleinen Stücke in den Zwischenräumen wird man wenig Erfolg haben.

Was noch zu erledigen ist

Die folgenden Punkte wurden nicht erörtert, oder es wurden die angemeldeten Redner in ihrem Rederecht beschnitten oder ignoriert. Häufig war es so, dass ein Einwand verschoben, am nächsten Tag die Tagesordnung verändert wurde, und / oder die betreffende Person dann am Folgetag nicht anwesend sein konnte. Ein bitteres Resultat für den Einzelnen, denn eine Erörterung auf unzureichender Faktenlage ist dann schuld gewesen, dass man einen Tag Urlaub geopfert hat.

Abschnittsteilung
Die Aufteilung der Projektabschnitte wurde oft kritisiert. Besonders das Auslassen des Abschnitts 1.2, da der Fildertunnel nur mit einem funktionierenden GWM aufgefahren werden kann. Gerade in dem Bereich, in dem zusätzlich der Anhydrit Probleme bereiten wird, befinden sich zahlreiche Wohngebäude. Dieser Themenpunkt wurde in den TOP „Sonstiges“ verschoben und nicht behandelt.

Wassergefährdende Stoffe und die Reinigungsanlagen
Das Baugrubenwasser ist laut Planfeststellung mit zahlreichen Schadstoffen belastet, die aus der Bautätigkeit stammen (Betonzuschläge, Öle). Hinzu kommen möglicherweise mobilisierte Altlasten aus dem Grundwasser. Führt die Vermischung von belasteten Wässern durch Verbundleitungen zwischen den Planabschnitten nicht zu einer Reduktion der Filterleistung, also Verdünnen statt Filtern?

Einleitungen in die Kanalisation
Im PFA 1.6a, aber auch in den anderen Abschnitten soll oder kann in die öffentliche Kanalisation eingeleitet werden. In welchen Mengen und in welchen Zuständen und auf wessen Kosten?

Mobilisierung und Verlagerung von Altlasten
Das Grundwasser in Stuttgart enthält zahlreiche Belastungen aus früheren Industriestandorten. Wenn nun Milliarden Liter umgepumpt werden sollen, können diese Schadstoffe in ihrer Verbreitung neue Wege finden und sauberes Wasser gefährden. Ergibt sich auch daraus eine UVP-Pflicht?

Die Potentialumkehr
Die Verlagerung der Strömungsverhältnisse im Untergrund zwischen Baugruben und Infiltrationsbrunnen, sowie das abgeleitete Wasser können das bestehende „Gleichgewicht“ zwischen dem druckreichen Mineralwasser und den abdichtenden Schichten ändern. Das hätte Folgen für die Quellschüttungen und deren Qualität, denn schon das Eindringen von Grundwasser in die tieferen Schichten ist als Verschmutzung zu werten

Einleitung von Trinkwasser
In den Anträgen ist auch das Einleiten von Trinkwasser in den Mineralwasserhorizont vorgesehen. Folgen diese Mengen dann auch der nach oben offenen Wasserentnahme? Muss bei witterungsbedingtem Niedrigwasser dann, analog zur Hochwassersituation im Untergrund, zusätzlich Trinkwasser infiltriert werden und in welchen Mengen auf wessen Kosten?

Was ist mit dem „Esslinger Geysir“
Der Mineralwasserzustrom aus Esslingen wurde von den Grundwassermodellen nicht erkannt. Die Modelle kommen ohne Berücksichtung dieses Zuflusses zu Ergebnissen – die folglich nicht mit der Realität übereinstimmen. Was wird alles durch diesen Zufluss beeinflusst?

Der Nesenbachdüker
Das Bauwerk kommt dem Mineralwasser am nächsten. Die Bauweise ist hochkompliziert, gefährdet durch ihre Tiefe aber auch umstehende Gebäude. Nun soll sogar eine offene Baugrube vorgesehen sein. Welche Veränderungen wird das bei den Pumpmengen und der Absenkungsdauer haben? Wird die Planänderung abgespalten, um die öffentliche Beteiligung zu verhindern?

Die Heilquellenschutzgebietsverordnung
Ausgerechnet am Sargbahnhof sollen die wasserführenden Schichten anders liegen, als im Umfeld – als hätte die Geologie gewusst, wo der Herr Ingenhoven sein Bauwerk haben will. Aber hydraulisch wirksame geologische Störungen soll es in der Gegend nicht geben.

Dolinen
Angeblich überraschend (gegenüber der Planfeststellung) zwingt nun eine Doline zu geänderter Bauwerksgründung. Sind die Dolinen und ihre Wirkung gründlich erforscht? Hat die geänderte Bauwerksgründung einen Einfluss auf die Sperrwirkung des Sargbahnhofs quer zur Grundwasserströmung. Stimmen die entsprechenden Berechnungen noch? Und wieder: es ist unzulässig, Planänderungsverfahren aufzuspalten, um die öffentliche Beteiligung auszuschließen.

Notfallkonzepte
Wie greifen Maßnahmen ineinander, wenn es zu Abweichungen beim Pumpen kommt. Wer legt unabhängig welche Regelungen fest? Wer priorisiert die Einstellung von Baumaßnahmen, gegenüber z.B. der Schädigung von Bäumen, von Bauwerken oder auch den durch Bauzeitverlängerung entstehenden Mehrkosten (sind ja nach Herrn Grube Millionen/Tag).

Das artenschutzrechtliche Gutachten
Das ist als Dokument in den Antragsunterlagen, befasst sich mit den Rohrleitungstrassen und geschützten Tierarten. Aber der Punkt Natur & Landschaft wurde abgewürgt.

Bodenkundliche Untersuchungen
Das Thema wurde nur extrem kurz angerissen, obwohl die Untersuchungen mangelhaft dokumentiert sind. Auch das ist bei Natur & Landschaft untergegangen. Einzelheiten des Bodenfeuchtemonitorings sind nicht zur Sprache gekommen.

Bauverzögerung
Wie wirken sich Verzögerungen beim Grundwassermangement aus und wie umgekehrt beim Baufortschritt auf das GWM.

Planrechtfertigung
Ist die beantragte Lösung angemessen und zielführend? Welche Alternativen gäbe es? Warum nicht Streckung des Wasserandrangs auf einen längeren Zeitraum oder andere Bauverfahren, die von der Bahn bei anderer Gelegenheit doch immer genannt werden? Kostengründe dürften dabei keine Rolle spielen, weil die Kostenfrage in der Planfeststellung nachzuordnen ist.

Klimatische Situation in Stuttgart
Offenbar wird mit Wetterdaten aus dem Umland gerechnet, werden Wasserscheiden nicht berücksichtigt. Wie spielen Talkessellage, Wetterereignisse und Klimawandel über die jahrelange Bauzeit zusammen.

Hochwasserdamm der Baugruben
In der Planfeststellung 1.1 ist ein Hochwasserdamm zum Schutz der Baugruben vorgesehen. Welchen Einfluss hat die Planänderung auf diese Schutzvorkehrung?

Nebenbestimmungen
Völlig unüblich für eine Erörterung, wird darauf verzichtet bzw. kommt es gar nicht dazu bzw. kann es auf Basis der nicht erörterungsreifen Unterlagen gar nicht dazu kommen, dass über erforderliche Nebenbestimmungen für eine Planfeststellung diskutiert wird.

Ich bin mir ganz sicher

… dass das nicht alles ist. Ich bin ganz sicher, dass es noch viele weitere Punkte gibt, die dringend erörtert werden müssen. Ein Teil der vorgenannten Auflistung wurde sogar von der Verhandlungsleitung selbst als erörterungsbedürftig angesehen. Wie kann man nun behaupten, sich einen ausreichenden Überblick verschafft zu haben? Ausreichend wofür – um gerade so, an der Amtsermittlungspflicht entlang und ohne formale Fehler, die Anhörung vom Tisch zu bekommen? Darf man für diesen behördlichen Zweck die EinwenderInnen ignorieren, die sich, zum Teil über Tage hinweg, erfolglos auf die Rednerliste haben setzen lassen? Lässt sich das Regierungspräsidium zum projektförderungspflichtigen Steiff-Tier degradieren? Der Vorwurf der Befangenheit ist jedenfalls nicht ausgeräumt.

Ich bin mir aber auch sicher, dass die Erörterungsverhandlung wieder sehr spannend wird. Es darf nicht sein, dass hier auf Druck der Vorhabensträgerin eine Diskussion abgewürgt wird, die immerhin das zweitgrößte Mineralwasservorkommen Europas betrifft. Dabei sein – bei der geordneten Beendigung von Stuttgart 21 – Morgen, am 12.12.2013. Fortsetzung folgt?

Petermanns Flaschenpost – Artikel der Serie

Teil 1 – Jetzt nicht nachlassen!
Teil 2 – Zum Zuschauer degradiert?
Teil 3 – Wasser geht uns alle an!
Teil 4 – Ordnung für 3 Tage – die Tagesordnung
Teil 5 – „Ich will das wissen …“
Teil 6 – Stuttgarter Untergrund
Teil 7 – Bad Cannstatt – Bad Berg – Bad Nepp
Teil 8 – Die Hänge sind sicher
Teil 9 – Der Boden, auf dem wir stehen
Teil 10 – Experimentierfeld Schlossgarten
Teil 11 – Grober Unfug hat keine Rechtfertigung
Teil 12 – Vorprogrammierte Betriebsstörung
Teil 13 – Merkzettel – das Wichtigste zusammengefasst
Teil 14 – Bürgerbeteiligung als Lehrstück
Teil 15 – Erörterung feiert Advent, Advent …
Teil 16 – Das ist noch längst nicht alles gewesen
Teil 17 – Die inzidente Umweltverträglichkeitsprüfung

( nur auf schaeferweltweit.de )

3 Gedanken zu „Knoten im Rohr – oder Knopf im Ohr“

  1. Der Landesnaturschutzverband hat eine lesenwerte Stellungnahme samt einem Antrag, die Planänderungen nicht zu genehmigen, abgegeben. Kernpunkt ist dieses einzigartige Begehren der Bahn, nach oben offene Wassermengen abpumpen zu dürfen.
    http://netzwerke-21.de/wordpress/wp-content/uploads/LNV_12.12.2013.pdf

    Dass die Stadt Stuttgart, bzw deren Umweltamt, an diesem unglaublichen Vorgang beteiligt ist, und das Anliegen auch noch schön redet, in der Erörterungsverhandlung gar als besondere Rücksicht auf die Umwelt verkaufen wollte, ist doch sehr bedenklich.

  2. Und noch ein wichtiger Punkt … der von Dr. (geol) Ralf Laternser immerhin am letzten Tag vorgetragen werden durfte. Mit lediglich einer einzigen Messstation, zudem an einem gar nicht so kritischen Punkt, soll die mögliche Hangrutschung überwacht werden.
    http://www.geologie21.de/index.php?id=131
    Es könnte sich herausstellen, dass die auf einen eher nebensächlichen Aspekt begrenzte Tagesordnung bereits einen Formfehler darstellt (man stelle sich vor: Lärm, Erschütterungen … ein Tag geplant – Natur und Landschaft, 1,5 Stunden erörtert). Niemand weiß, wieviele EinwenderInnen gestern nicht angereist sind, weil sie keine Chance sahen, ihre berechtigten Einwände vorzutragen. Gut, dass die Anwesenden nicht müde wurden, eine Fortsetzung zu verlangen und gleichzeitig zeigten, dass es weitere fachlich gut begründete Einwände gibt. Zwar wurde alles „abgebühlert“ – aber bis zu einer Genehmigung der unverantwortbaren Pumperei wird noch viel Zeit vergehen.
    Das die Verhandlungsleiterin mal Ende Januar als frühest möglichen Zeitpunkt ihres Abschlussberichtes nannte, scheint doch sehr optimistisch. Wieviele Wochen brauchte man allein für die Entscheidung, dass ein zusätzlicher Tag nötig wäre? Ein Abschlussbericht dürfte doch wohl etwas mehr Sorgfalt und Tiefgang benötigen.
    Übrigens: auch von diesem einen Tag wird es ein Wortprotokoll zur Einsicht beim RP, oder auf CD, geben. Das wurde zugesichert. Wer als EinwenderIn registriert ist, kann diese Möglichkeit nutzen (natürlich nur für den Eigengebrauch), wenn das Protokoll fertig gestellt ist.

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