Ja zum Ausstieg… von Louisiana

Ausstieg?

Sind wir schon so weit? Echt?

IMG_3923_oMich beschäftigen in den letzten Tagen immer wieder die Überlegungen, wie es eigentlich überhaupt so weit kommen konnte. Wie konnte es passieren, dass all das Unsägliche in Stuttgart geschah? Was ist da abgelaufen in den früheren Jahren? Wie konnte sich das immer mehr und noch mehr steigern?

Angefangen von einem Hubschrauberflug, den ein paar CDU-Politiker unternahmen. Bis hin zu einem Tag an dem unter der Ägide eines grünen Ministerpräsidenten nach generalstabsmäßiger Planung ein unfassbares Heer von 9000 (!) Polizisten in Stuttgart aufmarschierte, um die Zerstörung der uralten Parkanlagen gegen den Willen betroffener Bürger durchzusetzen. Wie kann so was geschehen? Mitten in Deutschland!

Wir selbst, die wir schon lange, in welcher Form auch immer, aktiv dabei sind, nehmen die Unbeschreiblichkeit dessen, was da wirklich geschehen ist und zum Teil immer noch geschieht, inzwischen schon gar nicht mehr richtig wahr. Wir sind betriebsblind geworden, vielleicht auch schon ein Stück weit abgestumpft oder sogar verroht. Spricht man aber mit jemandem, der nicht aus Stuttgart, nicht aus Baden-Württemberg stammt, der nicht die ganze Zeit dabei war, dem man erst einmal einige gewesene Ereignisse schildern muss, dann merkt man an den Reaktionen, dass das, was uns widerfahren ist, nicht normal, ja für Außenstehende fast gar nicht mehr zu begreifen ist.

Zuerst war wohl die Hehre Absicht, die Stadt „zu modernisieren“. Was eben Politiker einer anderen Generation so unter Modernisierung verstanden haben. IMG_2907Bauen, neue Gebäude, neue Straßen, Flächen nutzen, die in ihren Augen sinnlos brach lagen  Wer wie ich von frühester Jugend an die Arroganz einiger CDU-Mitglieder erleben durfte, wer das Buch von Manfred Zach gelesen hat, der weiß, mit welchen Methoden CDUler ihre Ideen für gewöhnlich durchzusetzen pflegten. Erst in der letzten Zeit scheint das – nicht nur in Stuttgart – nicht mehr so zu funktionieren. Da wurde stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit geklüngelt, bis soweit vollendete Tatsachen geschaffen worden waren, dass Andersdenkende nichts mehr zerreden konnten. Als Kritiker auf den Plan traten, bekämpfte man diese gezielt durch Diskreditierung, Totschweigen und Manipulation der öffentlichen Meinung über die Medien. Wir wissen inzwischen ja, wie so was geht.

Vielleicht hätte es sogar funktioniert, wenn es sich um ein kleineres Projekt gehandelt hätte. Aber S21 war zu groß. Es umfasste zu viele Aspekte, von denen zu viele unterschiedliche Menschen auf unterschiedlichste Weise negativ betroffen gewesen wären. Und so formierte sich Widerstand dagegen. Es war zunächst die Stadtbevölkerung, die sich wehrte. Und auch die, die aus dem Umland jeden Tag in die Stadt kamen, um dort zu arbeiten. Es waren die Reichen, die Gebildeten, die Bürgerlichen, die sich als unmittelbar betroffen empfanden.

Die CDU reagierte auf die altbewährte Weise. Man versuchte, die Leute zu diffamieren und Falschbehauptungen in die Welt zu setzen. Man machte aber auch Fehler. Man hörte nämlich nicht wirklich zu, was die Leute bewegte. Vor lauter Abwehrmechanismen verlor man völlig den Kontakt zu den Leuten, die man eigentlich hätte überzeugen müssen und brachte diese durch die Diffamierungen noch mehr gegen sich auf. Und hier kommt auch noch ein weiterer, meiner Meinung nach nicht zu vernachlässigender Aspekt zum Tragen, nämlich die schwäbische Mentalität. IMG_4397Es waren Schwaben, die sich betrogen fühlten, die wütend die Beleidigungen der Gegenseite anhören mussten. Und Schwaben verfügen bekanntermaßen über ein großes Maß an Sturheit. Wer es bei einem Schwaben einmal verschissen hat, der hat keine Chance mehr. Und nicht nur das, die Schwaben sind auch unglaublich gründlich in ihrem Tun. Die S21-Gegner bissen sich fest an ihrem Thema. Sie begannen mit der berüchtigten schwäbischen Gründlichkeit, sich intensiver mit der Materie zu beschäftigen und brachten zum Teil ungeheuerliche Dinge zutage! Über Fehlplanungen, die bewusst der Öffentlichkeit vorenthalten wurden, über organisatorisches Chaos beim Bauherrn DB und nicht zuletzt über die absichtliche Unterdrückung von Informationen zu den tatsächlichen Kosten, die so exorbitant erschienen, dass sie niemandem vermittelbar gewesen wären. Die Befürworterseite reagierte mit massivster Propaganda in einer Form, wie ich sie in diesem Staat nicht für möglich gehalten hätte. Allmählich wurde einem klar, dass es nicht mehr nur um das Projekt alleine ging. Es ging für uns um demokratische Grundsätze, die verletzt wurden und die es zu verteidigen galt. Und für die Befürworterseite ging es darum, sich die alten Mechanismen, mit denen jahrzehntelang solcherlei Geschäfte durchgebracht worden waren, nicht kaputt machen zu lassen. Ihre Welt wäre sonst auf den Kopf gestellt worden. Der Bahnhof war dafür nur noch ein Symbol.

Ein später hinzugekommenes ganz übles Instrument der Propaganda war die Kriminalisierung der Gegner. Durch parteiische Ermittlungsbehörden, die selbst vor der Verbreitung falscher Meldungen nicht zurückschreckten, wurde erreicht, dass man als S21-Gegner ab einem gewissen Zeitpunkt permanent damit rechnen musste, in Konflikt mit der Polizei zu kommen. IMG_7857Dabei wurde gezielt der Effekt ausgenutzt, dass es kaum eine Möglichkeit gibt, gegen einen Verbund von Polizei und Staatsanwaltschaft anzugehen. Wenn sich dann auch noch die Medien weigern, die wahren Tatsachen zu recherchieren gibt es fast keine Chance. Aber auch hier kam irgendwann das sprichwörtliche schwäbische Organisationstalent als wirksamste Waffe zum Tragen. Man vernetzte sich auf eine Weise, die in der Geschwindigkeit vermutlich ihresgleichen suchen dürfte. Man schuf eigene Medien und Kanäle, über die man eigene Meldungen und Informationen verbreiten konnte. Und ganz wichtig – die Juristen nahmen ihre Arbeit auf. Die S21-Gegner waren eben in Wirklichkeit nicht die schmutzigen, arbeitslosen Berufsdemonstranten, sondern oftmals Experten in ihrer jeweiligen beruflichen Tätigkeit. Und dieses Expertenwissen begannen sie nun im Sinne der entstandenen Bürgerbewegung einzusetzen. Man bot der anderen Seite Paroli. Medial und juristisch.

herzWir mussten lernen. Wir lernten. Wir fielen einige Male ziemlich übel auf politische Tricks herein, aber wir machten trotzdem weiter. Denn an der Irrsinnigkeit des Vorhabens S21, an den bautechnischen und planerischen Mängeln hatte sich ja durch die ganzen Kämpfe nichts geändert. Wir machten auch weiter, nachdem man uns den schlimmsten Schlag versetzt hatte, der vorstellbar war und uns den Park nahm. Im Nachhinein betrachtet war dies vielleicht sogar ein Fehler unserer Gegenseite, da wir danach nichts mehr zu verlieren hatten, was uns wirklich am Herzen lag. Mehr Schmerzen konnte man uns nicht mehr zufügen, als man uns in jenen Tagen zugefügt hatte.

Inzwischen haben wir ein Stadium erreicht, in dem es weitestgehend egal sein dürfte, welcher Couleur die Regierung ist, mit der wir uns gerade anlegen. Die Sache trieb immer weiter nach oben – zuerst meinten wir, die Stadt-Verantwortlichen seien es, merkten aber bald, dass die Fäden wo anders gezogen wurden. Dann wurden wir auf der Ebene der Landespolitik aktiv, inzwischen setzen wir die Bundesregierung politisch unter Druck.

Unterschätzt uns nicht. Wir haben Einfluss, wir haben gelernt und wir werden unseren Einfluss nutzen.

Ja zum Ausstieg…

Ausstieg? Sind wir schon so weit?

Noch nicht ganz. Es ist bereits Bundestagswahlkampf. Wir laufen Gefahr, dass S21 zum Spielball der Parteieninteressen wird. Vor allem die Grünen nutzen es derzeit in ihrem Sinne. Hinter dem anscheinenden Nichtstun unserer GrünInnen steckt knallhartes politisches Kalkül. S21 ist für die Grünen auf Bundesebene sehr sehr nützlich, um die CDU/CSU auf sehr schmerzhafte Weise vor sich herzutreiben. Die Grünen werden S21 nicht so schnell sterben lassen, wenn sie es irgendwie verhindern können. Denn dann wäre ja die Möglichkeit weg, den Unionsparteien permanent ihre Fehler unter die Nase reiben zu können. Und solch ein Instrument während des Bundestagswahlkampfs geschenkt zu bekommen, ist unbezahlbar.

Anzeige_ProjektendeNur – die DB kann nicht mehr. Sie hat die weiße Fahne gehisst. Kefers Herantreten an den Aufsichtsrat war ein Offenbarungseid. Die Kosten laufen völlig aus dem Ruder, die bautechnischen Risiken sind so groß, dass das Projekt schlichtweg mit vertretbarem Aufwand nicht mehr umsetzbar ist. Weitere Baustellensimulationsarbeiten erscheinen im Moment wohl nicht einmal mehr den Bahn-Verantwortlichen sinnvoll. Und deshalb bin ich mir sicher, dass der Ausstieg kommt. Ich befürchte nur, dass es noch eine Weile dauern wird. Wegen der Uneinsichtigkeit unserer Politiker.

(geschrieben von Louisiana, Parkschützerin, im Dezember 2012 auf schaeferweltweit.de )

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