Gerichtsverhandlung wegen Ankettung an einen Baum vertagt

(Gastartikel von Wolfgang Rüter)

Die Angeklagten mit ihrem Rechtsanwalt und Rechtsbeistand vor dem Amtsgericht Stuttgart

Am Donnerstag, 5. Juli 2012, fand vor dem Amtsgericht Stuttgart der Prozess gegen die drei Angeklagten Tobias H., Simon G. und Heiko R. statt. Sie hatten sich am 30. 09.2010 an einen Baum im Mittleren Schlossgarten nahe des ehemaligen ZOB-Geländes um einen Baum herum, durch Rohre geschützt aneinander gekettet, um diesen – und symbolisch auch andere Bäume – vor dem Fällen zu schützen. Vom Gericht und von der Staatsanwaltschaft wird ihnen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Die Verteidigung von Simon G. hatte RA Walter Zuleger übernommen, Heiko R. hatte Holger-Isabelle Jänicke als Rechtsbeistand.

Die Angeklagten mit ihrem Rechtsanwalt und Rechtsbeistand im Gerichtssaal

Nach Feststellung der Personalien, Besitzverhältnisse usw. wollte die Richterin Schaar den Hergang und die Beweggründe von den Angeklagten wissen und ließ sich diese schildern. So seien sie, weil am 30.09. 2010 bereits Baumfällmaschinen anrücken sollten, vormittags im Schlossgarten gewesen. Hier seien sie von Polizisten kontrolliert worden. Diese hätten auch gesehen was sie dabei hatten, ließen sie aber weiterziehen. Dann hätten sie sich eine geeignete Stelle und einen Baum zum Anketten gesucht, denn es stand für sie fest, dass die Bäume geschützt werden müssen. Für dieses Vorhaben seien sie vor Ort gewesenen. Die Polizei sei an diesem Tage mit den im Schlossgarten anwesenden Menschen, auch älteren, nicht zimperlich umgegangen, habe diese u.a. herumgestoßen, geschubst, einen Hang heruntergeschmissen, Wasserwerfer eingesetzt. Und trotz ihres sehr eingeschränkten Blickwinkels konnten die Angeketteten viele Blut überströmte Menschen herumlaufen sehen. Dies habe bei dem einen oder anderen Angeklagten durchaus auch Angst und traumatische Zustände erzeugt. Dass die Angeklagten den Ort der Ankettung nicht verlassen konnten war inzwischen auch der Polizei klar. Ob jemand der Angeketteten einen Schlüssel habe um sich zu befreien, danach sei nicht gefragt worden. Die Polizeiaktion sei in keinster Weise zu begreifen gewesen, zumal das Eisenbahnbundesamt EBA am selben Tag den Beschluss bekannt gegeben habe, dass die Bäume nicht gefällt werden dürfen. Diesen Beschluss aber habe die damalige baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner offensichtlich unter Verschluss gehalten.

Der geladene Zeuge, PHK Jörg Reutner aus Bieberach führte aus, dass er als Techniker vor Ort war um ggf. angekettete Personen zu befreien. Zusammen mit drei weiteren Kollegen habe man gegen 17/17:30 Uhr damit begonnen, die drei Angeketteten aus diese Lage zu lösen. Zuvor hätten sie anderen Polizisten gegenüber klar gemacht, dass sie sich selber nicht aus dieser Lage befreien könnten. Vor Ort musste Reutner feststellen, dass die Angeketteten mit ihren Händen untereinander in Metallrohre steckten, diese miteinander verbunden waren und das Lösen so nicht ohne weiteres von statten gehen konnte. Deshalb ließ er vorsichtshalber noch Rettungssanitäter und weitere Ermittlungskräfte hinzukommen. Um die Situation der Angeketteten, die mit ihren Händen in Rohren steckten besser erkennen zu können, habe er ein Endoskop zu Hilfe genommen, was jedoch wegen der Enge nicht den erhofften Blick ermöglichte. So entschloss er sich zum Einsatz eines sogenannten Nipplers, eine Art Stanzwerkzeug, mit dessen Hilfe erst die Rohre und später die Ketten mit einem Bolzenschneider nach ca. einer Stunde geöffnet werden konnten. Die Kooperation der Angeketteten bei dieser Befreiung sei gut gewesen und Probleme mit ihnen habe es nicht gegeben.
Nach einer kurzen Pause von ca. 15 Minuten ließ die Richterin die Angeklagten und die Verteidigung anschließend wissen, dass, nachdem sie sich das dem Prozess zugrunde liegende Video noch einmal angesehen habe, sie heute nicht zu einem Ergebnis kommen könne. Mit einem Blick zur Staatsanwältin sei sie der Meinung, dass man den Abschnittsleiter des Einsatzes am 30. 9. 2010 und andere als Zeugen zur Klärung bräuchte. Deshalb würde sie die Verhandlung für heute unterbrechen und noch einen Fortsetzungstermin vereinbaren. Das war gegen 12:07 Uhr. Begonnen hatte die Verhandlung um 10:30 Uhr.

Erstaunlich war für die Zuschauer auch, dass die Richterin bei dieser völlig unzureichenden Beweis- und Aktenlage überhaupt die Strafbefehle gegen die drei Angeklagten unterschrieben hatte. So sind unnötige Kosten und zeitliche Belastungen für alle Beteiligten entstanden. Das ist man allerdings von Stuttgart-21-Verfahren schon seit Jahren gewohnt.

Wäre dem Beschluss des Baumfällverbots für den Mittleren Schlossgarten des EBA am 30.09.2010 Folge geleistet worden und hätte die ehemaligen baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner diesen Beschluss nicht absichtlich, so wird vermutet, unter Verschluss gehalten, dann wäre die damalige Situation eine andere gewesen und dann hätte auch der Polizeieinsatz unter diesen Gegebenheiten nicht stattfinden dürfen. Dies müsste eine unabhängige und glaubwürdige Justiz berücksichtigen und insofern müssten auch die Richterin und die Staatsanwältin die Anklage eigentlich fallen lassen und das Verfahren einstellen. Nicht nur die Baumfällungen, die den EBA-Beschluss ignoriert haben.

Wolfgang Rüter