Ganz einfach: es funktioniert nicht!

Am Anfang steht der Wunsch. Dann folgt der Plan, wie man den Wunsch erfüllen kann. Bei Stuttgart 21 muss es anders gewesen sein, denn Wunsch und Planung passen nicht zusammen. Das hat nun Dr. Christoph Engelhardt in weiteren, sehr klaren, wenn auch notwendig umfangreichen, Dokumenten belegt. Daraus folgt nur eines: Stuttgart 21 muss abgebrochen werden, der Planfeststellungsbeschluss ist aufzuheben.

Die logische Klarheit von Engelhardts Analysen dürfte ein Grund sein, warum so wenig darüber geschrieben wird. Es ist eben keine Sensation, wenn ein 10-Liter Eimer nur zehn Liter fassen kann. Dazu braucht es keine Wissenschaft. Und es ist wenig sensationell, wenn der Eimer dann überläuft. Ob Wissenschaftler, Ingenieur oder Journalist – für alle ist die Spekulation über Unbekanntes häufig viel interessanter. Wann wird S21 fertig, welche Risiken gibt es, was wird es kosten? Genaue Antworten erhält niemand – und so dreht sich das Karussell der Ungewissheit, angetrieben durch immer neue „Erkenntnisse“. Die wichtige, grundlegende Erkenntnis wird dabei einfach ausgeblendet, nämlich auf welcher Basis befindet sich der Gegenstand der interessanten Betrachtungen?

Stuttgart 21 ist ein Immobilienprojekt

Schon mit dieser Erkenntnis würden die Diskussionen einen ganz anderen Verlauf genommen haben. Man hätte weniger über Bahntechnik zu reden, als zuerst zu klären, ob das Projekt notwendig ist, für wen es welche Vorteile und Nachteile bringen wird. Eine ehrliche Analyse wäre schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass man dieses Projekt nicht verwirklichen kann, dass es keinen allgemeinen Nutzen erbringt. Der Grad der Stadtzerstörung ist viel zu hoch, um das Ergebnis als wünschenswerte Erneuerung bezeichnen zu können.

Also wurde der Fokus verschoben. Stuttgart 21 sollte ein Verkehrsprojekt sein. Die Stadtzerstörung tritt in den Hintergrund. Man kann imaginäre Ziele aufstellen. Und vor allem – man kann sehr viel mehr öffentliche Gelder beanspruchen. Und da liegt bereits der erste Kardinalfehler:

der Plan, Flächen zum Bau von Shopping-Centern und Bürogebäuden zu erzeugen, war zuerst da. Ihm wurde einfach ein sachfremdes Ziel übergestülpt.

Mehr Eisenbahnverkehr – die unmögliche Planrechtfertigung

Mehr Eisenbahnverkehr lässt sich umweltpolitisch begründen, wirkt zukunftsorientiert und ist daher beinahe unangreifbar. Notwendig war dazu auch die Feststellung, dass mit der vorhandenen Struktur dieses Ziel nicht erreichbar ist, dass auch ein Ausbau der siebzehn Gleise an der beengten Lage im Talkessel ausscheidet. Diese Kernüberlegungen nennt man Planrechtfertigung, sie sind der Grund, überhaupt mit einer Planung zu beginnen.

Eine Planung muss sich durch eine Erforderlichkeit ausweisen, sie muss geeignet sein, ein Planungsziel zu erreichen, und sie muss „vernünftiger Weise geboten“ sein. Die Planung des Immobilenprojektes wäre an diesen Kriterien zerschellt.

Die Gretchenfragen – Leistung und Kapazität

Eine Verlagerung von Autoverkehr auf die Schiene kann sicher als unstrittiges Ziel formuliert werden. Und unbestreitbar muss dazu eine geeignete Infrastruktur vorhanden sein. Da schließt sich der zweite Kardinalfehler an:

dem Stuttgarter Kopfbahnhof wurde diese Geeignetheit einfach abgesprochen, ohne Beweise dafür vorzulegen.

Die deutschen Eisenbahnen boten bereits in der Vergangenheit sehr viel mehr Fahrgästen Platz. Die Strukturen selbst sind also vorhanden. Sie müssten sogar in besserer Qualität vorliegen, weil es viele technische Fortschritte gegeben hat (Gleis- und Signaltechnik, Triebfahrzeuge, Doppelstockwagen).

In Stuttgart werden in der Spitzenstunde 38 Züge abgefertigt. Das ist der aktuelle Bedarf. Wenn das Ziel also lautet, mehr Züge abfertigen zu wollen, müssen auch die Zugzahlen der Spitzenstunde erweitert werden. Der heutige Kopfbahnhof wäre, bei gleicher Betriebsqualität, in der Lage, gut 50 Züge abzufertigen. Er bringt also mehr Leistung und verfügt über eine höhere Kapazität als Stuttgart 21 jemals haben kann.

Denn der Planung liegt eine Auslegung von maximal 32 Zügen zu Grunde. Und genau so wurde der Plan beschlossen. Auf genau diese Auslegung beziehen sich die Analysen von Personenströmen und zum Brandschutz. Es gibt keine anderen rechtskräftigen Beschlüsse zur Auslegung des Projektes. Das ist der dritte Kardinalfehler:

die maximale Auslegung von Stuttgart 21 ist bereits am ersten Betriebstag erreicht. Sie ist nicht erweiterbar und kann Betriebsstörungen nicht abpuffern.

Die Auslegung auf 32 Züge, als Resultat von acht Gleisen, ist auch an existierenden Bahnhöfen, Alt- und Neubauten, zu belegen. Selbst der bahneigene Stresstest ergibt diese Auslegung, wenn man die Fehler und Richtlinienverstöße korrigiert. Und die Gutachter der Bahn, HEIMERL und SCHWANHÄUSER, belegen selbst, dass ohne bauliche Erweiterungen der Konzeption, letztlich ein verkleinerter Bahnhof das Ergebnis sein wird. Nur, klar ausgedrückt wurde das nicht – und so wurde es, absichtlich oder unbewusst, verdrängt.

Klassifikation der Schlüssel-Argumente in den Ausprägungen: „neue Sachlage“ (gegenüber dem VGH-Entscheid von 2006), „unmittelbar nachvollziehbar“ (auch für Nicht-Bahnwissenschaftler), „von Bahn-Gutachtern oder -Richtlinien bestätigt“ (das Argument wird also auch von der „Gegenseite“ anerkannt bzw. verwendet) und „von unabhängigen Fachleuten bestätigt“ (insbesondere durch die weltweite Umfrage zur Bahnhofskapazität). Die Kreise geben an, welche Merkmale besonders ausgeprägt sind (ein fehlender Kreis muss nicht heißen, dass das Merkmal gar nicht zutrifft), ein eingeklammerter Kreis bedeutet, dass das Merkmal teilweise zutrifft. Einzelne der Argumente sind auch neu, d.h. seit der Stellungnahme vom 07.06.2012 hinzugekommen.
Klassifikation der Schlüssel-Argumente in den Ausprägungen: „neue Sachlage“ (gegenüber dem VGH-Entscheid von 2006), „unmittelbar nachvollziehbar“ (auch für Nicht-Bahnwissenschaftler), „von Bahn-Gutachtern oder -Richtlinien bestätigt“ (das Argument wird also auch von der „Gegenseite“ anerkannt bzw. verwendet) und „von unabhängigen Fachleuten bestätigt“ (insbesondere durch die weltweite Umfrage zur Bahnhofskapazität). Die Kreise geben an, welche Merkmale besonders ausgeprägt sind (ein fehlender Kreis muss nicht heißen, dass das Merkmal gar nicht zutrifft), ein eingeklammerter Kreis bedeutet, dass das Merkmal teilweise zutrifft. Einzelne der Argumente sind auch neu, d.h. seit der Stellungnahme vom 7.6.2012 hinzugekommen.

Die Spitzenstunde zählt

Es gibt von Seiten der Bahn keine Versuche, die Analysen von Dr. Engelhardt zu widerlegen. Der Versuch des Verkehrsministers Hermann, den Fokus auf andere Planungsgrößen zu lenken (z.B. Taktverkehre), ist ein schmähliches Ablenkungsmanöver. Die entscheidende, international anerkannte, Kennzahl für die Leistungsfähigkeit ist die Spitzenstunde.

Solche Fragen hat Dr. Engelhardt auch an internationale Bahnexperten gestellt, die seine Aussagen in ihren Antworten bestätigen. Nicht nur die Aussagekraft der Spitzenstunde, auch die Bedeutung von Haltezeiten, die Notwendigkeit von Richtlinenbefolgung, die Einbeziehung von Leerfahrten, oder die Frage nach der (geringen) Bedeutung von Gesamtzugzahlen. Denn trotz der geringen Spitzenwerte soll ja ein enormes Wachstum der Zugzahlen möglich sein. Das ist aber nur abzubilden, wenn in der Nacht mehr Züge fahren, als am Tag.

Weniger Kapazität – weniger Leistung: In der morgendlichen Spitzenstunde ist die Kapazitätsgrenze bereits erreicht. Auch im Tagesverlauf fahren weniger Züge. Hohe Zugzahlen entstehen allein durch mathematische Verteilung bzw. Verschiebung des geplanten Zuwachses in die Nachtstunden. Da fahren dann sogar mehr Züge, als zur Mittagszeit.
Weniger Kapazität – weniger Leistung: In der morgendlichen Spitzenstunde ist die Kapazitätsgrenze bereits erreicht. Auch im Tagesverlauf fahren weniger Züge. Hohe Zugzahlen entstehen allein durch mathematische Verteilung bzw. Verschiebung des geplanten Zuwachses in die Nachtstunden. Da fahren dann sogar mehr Züge, als zur Mittagszeit.

Ein Irrsinn, der da geplant wurde. Aber auch Irrsinn muss ernsthaft hinterfragt werden – zumindest bei der bornierten Haltung der Bahn und dem Verkehrsministerium Baden-Württembergs. Sollte aber tatsächlich jemand so unendlich viele Nachtzüge bestellen, könnte man die selbstverständlich auch im Kopfbahnhof abwickeln. Nur, weder heute, noch in Zukunft, ist mit einem derartigen Bedarf zu rechnen.

Und auch die Gerichte müssen sich mit den falschen Annahmen und Aussagen bei der Entstehung des Planfeststellungsbeschlusses befassen. Sie haben 2006 „in Unkenntnis“ geurteilt. Es ist eine „neue Sachlage“ entstanden, die beweisbar macht, dass die gesteckten Ziele unerreichbar sind. Man kann nicht 10 Liter in einem 5-Liter-Eimer unterbringen.

Der Projektabbruch ist zwingend zu fordern

Sollte Stuttgart 21 also jemals fertig gestellt sein, wird man dort 15% weniger Züge fahren können, als heute benötigt. Die juristische Frage, ob so ein Rückbau überhaupt nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz zulässig ist, kann beinahe vernachlässigt werden. Denn die Planung erweist sich als „nicht geeignet“ das Planziel („mehr Verkehr“) zu erreichen. Die Planung kann nicht „vernünftiger Weise geboten“ sein, weil der Kopfbahnhof, über den heutigen Betrieb hinaus, erhebliche, sogar erweiterbare, Leistungsreserven besitzt.

Bei Stuttgart 21 handelt es sich um einen klassischen „planerischen Missgriff“. Dieser ist auch nicht heilbar durch weitere Planänderungen oder noch viel mehr Euros. Wer mehr Eisenbahnverkehr im Stuttgarter Hauptbahnhof haben will, gar über 50 Züge der Spitzenstunde hinaus, der muss eine gänzlich andere Planung vorlegen und genehmigen lassen.

Das Eisenbahnbundesamt hat die Pflicht, den Missgriff festzustellen, und das Projekt zu beenden. Die an Finanzierungsverträge gebundene Politik ist ebenso in der Pflicht, die offensichtlich unsinnigen Zahlungen einzustellen und Bezahltes zurückzufordern.
6.8 Milliarden Euro sind ein Betrag, den man nicht für ein nutzloses Projekt versenken darf, das einen Schaden für die Allgemeinheit an der Verkehrsinfrastruktur darstellt. Auch die Landespolitik kann den Klageweg gegen das EBA beschreiten, mit dem Ziel, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben.

Sehenden Auges vor die Wand

Die Arbeitsergebnisse von Dr. Engelhardt müssen weitere Verbreitung finden. Sie sind eine wichtige Basis im Klageverfahren eines Anwohners, dessen Privateigentum zerstört werden soll, weil der Rückbau immer noch als Allgemeinwohl dargestellt wird. Auch bei den blockierten Planabschnitten 1.1, 1.5 und 1.6a wird letztlich das Gemeinwohlinteresse am Abpumpen des Grundwassers für den Sargbahnhof zu prüfen sein. Ebenso am noch lange nicht genehmigten Flughafenbahnhof auf den Fildern und beim Abstellbahnhof in Untertürkheim.

Diese juristischen Entscheidungen können nicht auf der Basis des „größten technisch-wissenschaftlichen Betrugs“ (Engelhardt) getroffen werden. Auch der Aufsichtsrat der Bahn muss diese Analysen zur Kenntnis nehmen und handeln. Das Schweigen der deutschen Bahnwissenschaftler und Ingenieure ist zunehmend peinlich und beschämend für den Berufsstand. Es ist dringend an der Zeit, die Beweise anzuerkennen!

Unterlagen

Der vorstehende Artikel bezieht sich auf die nachfolgenden Dokumente:
Stellungnahme an den VGH, warum sich durch die Analysen eine neue Sachlage zur Entscheidung ergeben hat.
Befragung internationaler Experten, um die wissenschaftliche Korrektheit der Analysen zu untermauern (Englisch).
Rekonstruktion der Entstehung von Leistungsaussagen, um den Prozess der Täuschungen über den Rückbau nachvollziehbar zu machen.
Information an die Finanzierungspartner von Stuttgart 21, vor der Sitzung des Lenkungskreises vom 23.7.13, bei der es um die Kostenexplosion gehen sollte.
Pressemitteilung im Vorfeld dieser Sitzung des Lenkungskreises

schaeferweltweit.de: Zusammenfassung zum Thema Leistungsrückbau im Vorfeld der siebten Planänderung.

12 Gedanken zu „Ganz einfach: es funktioniert nicht!“

  1. „Zur Blamage wird das Ganze, weil alle einfach wegschauen, um weitermachen zu können.“
    Ja, „weil alle einfach wegschauen“…
    und warum schauen alle weg?
    Wer sind die Wegschauer?

    Mit alle sind auf jeden Fall die Politiker von grün-rot gemeint.
    (Die schwarz-gelben können sich dabei entspannt zurücklehnen.)

    Der nebulösen Projektförderpflicht, eine Pflicht die es rechtlich gar nicht gibt, wird wie eine Monstranz vom Betreiber / von Befürwortern / von den Medien dem Volk zum anbeten vorgehalten und die Politiker und die Justiz gehen, somit befreit von Gesetzesvorgaben, erleichtert auf die Knie.

    Das Wahlvolk wurde nachhaltig mit der medialen VA-Inszenierung in die Knie gezwungen.

    Namhafte Politiker und BUND-Verantwortliche trommelten wider besseres Wissen für diesen Wahlbetrug, um in Wirklichkeit die politische Wende sicherzustellen.

    Eine Bürgerbefragung in Stuttgart hätte nicht das gewünschte Ergebnis erzielt.
    Dafür konnte das überwiegend schwarze Wahlvolk in BW mit 100%iger Sicherheit gg. die Aufständischen in Stuttgart ins Feld geführt werden.
    Bei der Übermacht hieß es zum Schluss von „unseren Leuten“, unseren Sprechern vom AB, mit Krokodilstränen in den Augen:
    „Wir haben verloren – wir müssen akzeptieren – wir sind doch gute Demokraten.“

    Gruß an Frau Dr. Brigitte Dahlbender und nicht den Hannes zu vergessen!

    …und es wird weiter von vielen, nicht allen, Parkschützern weggeschaut…
    …die Bahnhofschützer, die schauen nicht weg!

    Können die, die nicht wegschauenden noch etwas bewegen? Ich hoffe es sehr!
    Werdet Bahnhofschützer…, lasst Euch nicht vom Bahnhof vertreiben!

    1. Du hast recht, auch in den „eigenen Reihen“ gibt es Wegschauende, denen ein Spektakel mit Strohfeuer lieber ist. Und so eilen sie von Thema zu Thema, wie es die Medienmeute ebenso pflegt. So kann der Eindruck entstehen, dass ein wichtiges Thema unwichtig geworden sei. Das ist aber in diesem Fall überhaupt nicht so. Es geht um den Kern der Planung, nicht um Auswirkungen oder Symptome.
      Vor allem schauen eben Wissenschaftler, Ingenieure, Architekten, Politiker, Journalisten, Behörden und Richter weg – die Peinlichkeit, einen Rückbau über Jahre hinweg als Mekka der Zukunft verkauft und genehmigt zu haben, ist ja auch übergroß.

  2. Bei aller Würdigung für die Arbeit diesen Beitrag zu erstellen, aber das ist Stand irgendwas Mitte 2012 – viele Aspekte 2011. Die Argumente erfahren keine andere Gewichtung wenn man sie laufend wiederholt. Die Teilaspekte interessieren höchstens den verbliebenen Restprotest – die Außenwirkung stößt -wie bei den Montagsdemos- tendenziell auf Unverständnis. Man wird auch anerkennen müssen, dass bereits im Rahmen der Volksabstimmung es nicht gelungen ist, die Bürger dafür zu sensibilisieren. Letztendlich hat die Politik die Leuchttürme gesetzt: Der grüne Umweltminister hat wenige Wochen vor der VA, sehr zur Freude der Projektbetreiber und Befürworter, das Mineralwasser für 100% sicher erklärt; der Ministerpräsident in einer Pressekonferenz plakativ den Stresstest als „Bestanden“ im Sinne der Bahn AG. Sämtliche Versuche das zu öffentlichkeitswirksam zu widerlegen sind „uns“ nicht gelungen. Der Gegenseite ist es aber hervorragend gelungen Erfolge zu präsentieren: Die Finanzierung etwa, viele Gerichtsentscheidungen zu ihren Gunsten und natürlich auch ein Grüner Verkehrsminister der mit Grube und Ramsauer den Tunnelanstich der NBS feiert – während wir mal argumentiert haben-sogar in der Schlichtung- dass das mit dem zusätzlichen Güterverkehr ein Märchen ist.
    Auch das hier war ein desaster: http://econo-matrix.blogspot.de/2013/07/stuttgart-21-csu-staatssekretar-grun.html
    Der Protest gegen S21 ist in jeder Hinsicht ins Hintertreffen geraten. Man kann jetzt höchstens noch Mahnen – aber den Baufortschritt werden wir so wenig aufhalten können wie die Abholzung des Schloßgartens – oder besser die Parkübergabe.

    1. Dass es ein Kommunikationsproblem gibt, ist unbestritten. Aber das möchte ich hier nicht weiter diskutieren, denn da wurden in den letzten Wochen einige blogs geschrieben, wo man sich beteiligen kann. Dieses Problem ändert aber nichts an der Tatsache, dass S21 ein Rückbau ist, und dass dieser Rückbau der vorgegebenen Planung widerspricht.
      In Ansätzen wurden die Argumente von Dr. Engelhardt kurz vor der VA bereits öffentlich – aber von den entscheidenden Stellen (VM Hermann) ignoriert. Die Bahn hat sich einfach nicht geäußert. Herr Engelhardt hat aber gerade nicht aufgegeben, sondern weiter untersucht. 2012 kamen die Plausibilitäten durch Vergleich bestehender Bahnhöfe hinzu, nachdem die Manipulation des Stresstestes belegt werden konnte. Auch die Unterlagen des Planfeststellungsbeschlusses konnten analysiert werden – mit dem Ergebnis, dass der Rückbau von Beginn an geplant war. Das einzige, was die Bahn gegen Herrn Engelhardt vorzubringen versuchte, war seine angeblich mangelnde Reputation ggü. den sogenannten Experten der Bahn. Neu ist nun, dass Herr Engelhardt seine Argumente mit den Aussagen dieser Bahnexperten belegen kann (s. Stellungnahme an den VGH). Er hat weiterhin eine internationale Umfrage durchgeführt, um seine Analysen zu erhärten. Deutsche Bahn-Wissenschaftler haben dazu geschwiegen (offenbar ist die Verstrickung mit der Bahn AG ein wissenschaftliches Hindernis – macht evtl. auch einiges erklärbar, warum die Durchdringung in der Öffenbtlichkeit so schwer ist). Von internationaler Seite werden die Argumente und Kennwerte, die Dr. Engelhardt verwendet, eindeutig bestätigt.
      Dadurch ergibt sich ein „neuer Sachstand“, der juristisch relevant ist. Eine Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses wird unvermeidbar werden. Das kann in den Verfahren um das Haus in der Sängerstraße relevant werden (fehlendes Allgemeinwohl), ebenso im Verfahren um die siebte Planänderung (Abwägungshindernis) und in den Enteignungsverfahren zum Tunnelbau (fehlendes öffentliches Interesse). Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Der Weg wissenschaftlicher Erkenntnis dauert eben manchmal etwas länger. Und derzeit haben wir gute Chancen, Öffentlichkeit über das blamable Projekt herzustellen, denn die Bahn steckt im eigenen Genehmigungschaos fest (s. Erörterung). Fünf von sieben Planabschnitten sind derzeit nicht baubar. Und sogar der Abschnitt Fildertunnel (der sehr wohl vom GWM abhängig ist), stecht fest, weil ein Betonwerk notwendig ist. Also eher 5,5 von 7 sind blockiert. Nutzen wir das!

  3. Ich finde die Arbeit von Herrn Engelhard wirklich verdienstvoll, aber wir sollten uns nicht nur auf diese sachlichen Argumente konzentrieren. Die Triebkraft hinter diesem Projekt kümmern solche rationalen Überlegungen wenig, denn es geht weder um die Kapazität noch die Kosten. Elena Gerebizza hat auf dem Dritten Europäischen Forum am Sonntagmorgen sehr eindrucksvoll dargestellt, wie diese europäischen Megaprojekte finanziert werden und welchen Zweck sie haben. Dagegen sind Brandschutzfragen, Kapazitäten und Kosten völlig irrelevant. Der EU geht es um die Schaffung „eines“ europäischen Marktes und dazu werden im Bereich Infrastruktur, Kommunikation und Energie Megaprojekte aufgelegt, für die eigentlich niemand das Geld hat. Finanziert werden die meisten im sogenannten Public Private Partnership, was ausschliesslich dazu dient, Gelder aus dem öffentlichen Bereich in den privaten umzuleiten. Die notwendigen Kredite werden zu 30% von der europäischen Kreditbank abgesichert, der Rest durch Staaten und private Investoren finanziert. Es ist vollkommen klar dass keines dieser Projekte sich jemals refinanzieren wird, aber durch die 30% Absicherung haben die von der EU herausgegebenen Bonds ein hohes Rating und gelten als sichere Anlage, obwohl sie das keineswegs sind. Was passiert mit diesen Bonds? Sie werden z.b. von Pensionsfonds aufgekauft. Wozu führt das ganze, wenn das Projekt sich nicht rechnet? Zu hohen Gebühren und Fahrpreisen, Staatsverschuldung und sinkenden Renten.
    Den Reibach machen dabei die Investoren, während der Bürger die Rechnung gleich 3x bezahlen darf. So gesehen wird glaube ich deutlich, dass es völlig egal ist, ob S21 sinnvoll für den Verkehr oder wirtschaftlich ist.

    1. Dieser Analyse zu den finanziellen Interessen und der Lastenverteilung stimme ich zu. Allerdings hat diese generelle Ausplünderung der Staaten bisher wenig Mobilisierungskraft entwickeln können. Letzlich lehnt sich der Bürger zurück, wenn Steinbrück und Merkel versichern, die Sparbücher seien sicher.
      Stuttgart 21 gehört zu dem System der Plünderung – keine Frage. Aber wenn man Stuttgart 21 verhindern will, sollte man konkreter ansetzen, als gleich das ganze System umwälzen zu wollen. Am Geld jedenfalls wird das Projekt m.E. nicht scheitern (evtl. an der Verantwortung zur Finanzierung, aber da zahlt letzlich immer die Allgemeinheit).
      Den konkreten Ansatz, S21 scheitern zu lassen, gibt es. Das Bauprojekt entspricht nicht den selbst gegebenen Zielen, kann sie per se nicht erfüllen. Um das zu erkennen, braucht man wenig Fachwissen. Was zu klein ist, ist eben zu klein. Da offenbar auch eine Menge an unwahren Behauptungen und Täuschungen beweisbar ist (Dank an Dr. Engelhardt!!!), mit denen überhaupt eine Baugenehmigung erschlichen wurde, lässt sich die Legalität von Verträgen und Beschlüssen angreifen. Massentauglich ist das allemal: wer will schon einen zu kleinen Bahnhof – jeder weiß, dass der Eisenbahnverkehr ausgebaut werden muss.

      1. Nur wenn es so ist, dass die selbstgesteckten Ziele solcher Grossprojekte eigentlich nur das Lametta sind um den Bürger zu beeindrucken, dann ist auch klar, dass eine noch so gute Analyse aller sächlichen Unzulänglichkeiten das Projekt nicht zu Fall bringen wird, sondern höchstens den Frust der Bürger erhöht, wenn die Analyse keine Konsequenzen hat.
        Ist man sich aber klar darüber, wie mächtig das Interesse oder die Struktur wirklich ist, dann kann man das eine (sächliche Recherche) tun, ohne das andere (den europäischen ökonomischen Zusammenhang) zu lassen. Das hat noch lange nichts mit Systemveränderung zu tun, aber mit dem Verständnis des Systems. 🙂

        1. Du hast ja recht, aber bitte verstehe, dass es hier um den Projektabbruch von Stuttgart 21 gehen soll (wer dem aus welchen Motiven heraus zustimmt, ist doch eher nebensächlich).
          Mit dem Lametta liegst Du aber falsch. Lametta sind die vielen Broschüren und das Turmforum, die ganzen Behauptungen über das tolle Projekt. Sie sind aber rechtlich nicht relevant. Die „Planrechtfertigung“ als Teil des Planfeststellungsbeschlusses ist relevant. Es handelt sich um einen Verwaltungsakt, der auf nichtiger Grundlage erlassen wurde. Es wurde zwar genehmigt, aber es ist ein „Schaden für das Allgemeinwohl“ festgestellt – das zwingt zur Aufhebung des Verwaltungsaktes. (z.B. §49 VerwVerfG Abs. 2 Nr 5.) Das müssen wir erkämpfen.

    2. Ich finde den Kopfbahnhof herausragend schön. Ich vermisse die Bäume des Schlossgartens. Ein Architekt, der so ein Ensemble zerstört, um seinen Entwurf eingraben zu können, ist nicht mehr ganz dicht, und sollte wieder ins Laufställchen und mit Bauklötzen spielen. Ein Bahnvorstand, der so einen Bahnhof zerstört, sollte lieber mit Matchbox-Autos spielen – der gehört entlassen.
      Jon, ich brauche keinen einzigen Deiner Gedanken, um gegen diesen Wahnhof zu sein. Kein einziger von Deinen Gedanken hilft mir dabei, diesen Unsinn zu stoppen. Herr Engelhardt greift die Planung da an, wo sie falsch und unrechtmäßig ist. Das überzeugt mich und stärkt mir, und vielen anderen, den Rücken, mich mit meiner Person gegen dieses Projekt zu stellen. Man muss dazu nicht für einen anderen Bahnhof sein, für eine Partei oder gegen eine Regierung oder gegen ein System oder für ein anderes. Es reicht die Erkenntnis, dass das, was da gebaut wird, falsch ist. Schluss mit S21 – sofort!

  4. Die größte Blamage der deutschen Baugeschichte …

    Ein zum Weltkulturerbe geigneter Bahnhof wird zerstört, um einen neuen Bahnhof zu bauen,
    ***der den heutigen Bedarf nicht decken kann,
    ***der am ersten Tag des Betriebes bereits zu klein sein wird,
    ***der nicht erweiterbar ist für zukünftigen Bahnverkehr,
    ***der ohne Baufortschritt schon dreimal teuerer als geplant ist.

    Wenn das keine Blamage ist, wird Schilda zur Zukunft.

    Das Finanzdebakel wird gern in den Vordergrund gestellt. Aber wer 500 Milliarden für marode Banken erübrigt, wird dieses Problem lösen. Zum neuen Schilda wird die Sache aber, weil man ein völlig untaugliches Bauwerk erstellt – und dazu einen hocheffizienten, architektonisch herausragenden und benutzerfreundlichen Bahnhof zerstört. Das ist der Schildbürgerstreich. Und Herr Engelhardt hat den dazu notwendigen Betrug und die Täuschungen beweisbar seziert. Zur Blamage wird das Ganze, weil alle einfach wegschauen, um weitermachen zu können.

  5. Zur Kapazität des kopfbahnhofes möchte ich ausdrücklich ohne Gewähr, da naheliegend nicht nachprüfbar, folgendes ergänzen. Bereits kurz nachdem der Bauzaun Nordflügel sich mit Plakaten füllte, ergab sich bei einem Besuch neben der Mahnwache ein Gespräch mit einem sich als Bahnplaner bezeichnenden Mann. Er war der bis dahin einzige der mir die Besonderheit des 1967Fahrplans am Zaun hängend erklären konnte. Bei diesem waren 57 Züge in der Spitzenstunde dargestellt. Er erklärte mir, daß durch den Mischverkehr seit dem S-Bahnbau die Kapazität reduziert sei. Die DB gehe von 44 Zügen für den Kopfbahnhof (ohne ECTS) als fahrbar aus.
    Nach Eröffnung der getrennten S-Bahnstrecke ab Mittnachtstraße ist also das desamte Gleisvorfeld und der das Bonatzgebäude für sich betrachtet in der Lage den 1967er Fahrplan zu fahren. Dem isoliert betrachteten Tiefbahnhof plus Einlaufbauwerken auch deutlich überlegen, genauso wie der Knoten, der nur durch Manipulation und störungsfreies ECTS einen scheinbare Simulation bestand.
    Was mir bisher in den Betrachtungen fehlte war die Auswirkung des rendevouz-systems im Kopfbahnhofes und des sinnarm im wesentlichen hintereinandergetakteten Systems Tiefbahnhof. Auch wenn der jetztige Verkehrsminister entweder unklares Bahnsprech anders angewendeter Begriffe oder normaldeutsch Sprachpanscherei betreibt zur Vernebelung von Leistungsminderung .
    Bisher waren die Einsteiger und Umsteiger in den bereitgestellten Regios verschwunden, wenn am Bahnsteig ein zusätzlicher Zug hielt. Diese werden sich nicht darauf verlassen im letzten Augenblick von der Verteilerebene über eventuell verstopfte Abgänge sich den ankommenden entgegenzuschmeißen. Die S-Bahnsituation , daß ein Dödel wieder den Zugausgang verstellt, wird also mit vielmehr Menschen und Gepäck stattfinden. Daß die DB entgegen der EBA- Brandschutzrichtlinie die von 30%(kleine Anfrage Harald Ebner/MdBgrün) ausgeht , im PFB1.1 Seite 357 nur 15 % für Umsteiger und Fahrtbeginner ansetzt , und das komplett OHNE Doppelbelegung (zusätzlich mal 1,4) ist jetzt mit den neuen platzfordernden und bewegungshemmenden Treppenhäusern ein Skandal im Skandal. Es wird auch wenige geben die vor oder nach ihrem Arbeitstag unbedingt einmal um den Bahnhof laufen wollen , weil ihr kürzester Weg ein Vollkontaktwettbewerb ist. Die sportlichen Treppenhäuser sind dann auf jeden Fall Regelausgänge. Daß Proler lieber behende 3Stockwerke Treppen bei jedem Wetter ins Freie laufen (Treppenhäuser sind von der Verteilerebene abgekoppelt) entspringt ja nur der im GWM1 planfestgestellten Zuversicht und nicht der Realität.

    1. Danke für die zusätzlichen Auskünfte, Thomas.
      Schon Egon Hopfenzitz versicherte im Sommer 2011, dass man im Kopfbahnhof gut 54 Züge abfertigen könnte. Ein Gutachten von Vieregg & Rößler ergab 56 Züge bei normaler Moderniesierung der Signaltechnik. Die Nahverkehrsgesellschaft BW bestätigte im November 2011 50 Züge im heutigen Zustand. Auf diese Zahl kann man sich damit amtlich berufen – und eigentlich diesen Teil der Diskussion beenden.
      Das Planungsziel, zukunftsfähig, also erweiterbar, mehr Verkehr als zur Planungszeit abwickeln zu können und deshalb neu bauen zu müssen, weil der alte Bahnhof das nicht kann – dieses Ziel wird nicht im Entferntesten erreicht, die Argumentation war falsch. Dies hat Dr. Engelhardt bewiesen.
      Daraus muss die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses folgen. Und dazu gibt es verwaltungsrechtliche Handlungsoptionen. Ich denke, darauf müssen wir verstärkt hinweisen.

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