Der 20.06.2011 in Stuttgart

Archivbild 20.06.2011
Archivbild 20.06.2011

Ein lesenswerter Artikel in der KONTEXT:Wochenzeitung beschreibt den 20.06.11 in ziemlich realistischer Weise. Wie so oft lässt der Artikel erkennen das die Autoren der Kontext sich Zeit genommen haben und wahrscheinlich sogar selbst Augenzeugen waren. Da ich selbst Betroffener der Kriminalisierungs-Versuche im Fall des 20.06.2011 bin, habe ich bisher noch kein einziges Wort zu diesem Tag schreiben können. Bereits kurz nach dem 20.06. wurde ich damals, wie viele meiner Kollegen bei cams21 und anderen dokumentierenden Teilnehmern von S21 Protesten, Haus durchsucht und Bildmaterial beschlagnahmt. Seit dem steht im der Vorwurf des schweren Landfriedensbruches im Raum. Den Artikel in der Kontext lese ich daher mit Freude, den mir selbst ist es nicht möglich über den 20.06. zu schreiben. Seit Jahren berichte ich nun schon über die Bürgerbewegung und natürlich würde ich das auch über diesen Sommertag im Juni 2011 schreiben, die wahrscheinlichen Vorwürfe (ich kenne sie ja bis heute nicht!) gegen mich halte ich für haltlos und unbegründbar. Doch Aufgrund des noch nicht erfolgten Strafbefehles gegen mich gebietet der Selbstschutz kein Wort darüber zu verlieren.

Archivbild 20.06.2011
Archivbild 20.06.2011

Ein freier Berichterstatter wird damit also sofort und automatisch zum Schweigen gezwungen, die Grundrechte der freien Meinungsäußerung auf diesem Weg massiv beschnitten. Durch die Beschneidung der Pressefreiheit, der Unangreifbarkeit von Presse, wird somit „Eine Zensur findet nicht statt.“ (Art.5 GG) ad absurdum geführt. Nicht zuletzt aus diesem Grund stimme ich der Aussage von Jürgen Bartle im oben genannten Artikel ausdrücklich zu! Ich als Betroffener sehe mich auch im Recht auf ein faires Verfahren gebracht (siehe Artikel 6 Europäische Menschenrechtskonvention), zwei Jahre hält man mir nun schon einen völlig haltlosen Vorwürfe aufrecht nur um mich in Ungewissheit zu halten und in meiner Freiheit zu beschränken. Ich danke daher KONTEXT:Wochenzeitung für ihren Artikel und Verweise außerdem auf einen Artikel von cams21 zum 20.06.11 Neben den im aktuellen Kontext Artikel erwähnten Ungereimtheiten sind dort weitere Auffälligkeiten dieses Tages zusammengetragen und aufgeführt.

Ausserdem werde ich pünktlich zum 2. Jahrestag des Vorfalles meine Bilder vom 20.06.11 veröffentlichen. (Natürlich verpixelt, um die Menschen vor Verfolgung durch Internetnutzer zu bewahren, auch wenn die Bilder der Polizei ja durch deren Hausdruchsuchung, in ihrer ganzen Harmlosigkeit des Tages, bekannt sind.) Sie werden den Tag zeigen wie er war auch auch wenn ich weiterhin, vom Staat verfolgt und bedroht, keine Aussagen zu diesem Tag machen kann.

Archivbild 20.06.2011
Archivbild 20.06.2011

( Alexander Schäfer auf schaeferweltweit.de )

0 Gedanken zu „Der 20.06.2011 in Stuttgart“

  1. Du hast mit der Veroeffentlichung von um die 300 Bilder damals vielen einen Baerendienst erwiesen. Sicherlich ohne Absicht – aber eben doch fatal. Insofern ist das Gejammere ueber freie Berichterstattung laecherlich.

    1. Ich kann diese Meinung schwer Nachvollziehen da sie mir undurchdacht erscheint.
      Dieses Beispiel 20.06. ist ja geradezu Exemplarisch wie Falsch es ist den Medien, welche die Behauptungen der Polizei (die ja dann siehe Artikel von Kontext im großen und ganzen später realtiviert werden mußten) einfach weiterverteilt, keine gleichwertige Öffentlichkeitsarbeit (was ich natürlich niemals bin) entgegenzusetzen zu können, sondern die Deutungshoheit überlassen zu müssen.
      Noch weniger Nachvollziehbar macht es die Tatsache, daß gerade hier ettliche private Fotografen durchsucht wurden. Fotogafen welche Ihre Bilder noch nie öffentlich gemacht haben aber den Behörden jahrelang schon bekannt sind. Weiter haben mindestens zwei solcher „nicht öffentlicher Datensammler“ aus eigenem Antrieb herraus ihre Bilder selbst dort abgegeben.

      Jedem seine Meinung, aber „lächerlich“ ist doch eher das es für diese Kiminalisierung der Leute spätestens durch meine Hausdurchsuchung völlig unerheblich wurde ob die Bilder je online waren oder nicht.
      Offline genommen habe ich sie dann nur eben wegen solcher nicht durchdachter Vorwürfe aus den Reihen der Demonstranten wie diesem hier das transparente Öffentlichkeit angeblich schaden würde.
      Im Gegenteil – ich wage zu behaupten das die Sache ganz anders gelaufen wäre, wenn die Livestreammöglichkeit der cams21 Leute vor Ort nicht eingeschränkt gewesen wäre.
      Also wenn die transparente unveränderte Öffentlichkeit vor den Behauptungen des Polizeipresidenten hergestellt geworden wäre.
      Paradebeispiel dafür ist zb. der 30.09. Wäre die Öffentlichkeit damals nicht – live, sofort und ungefiltert – selbst hergestellt worden, hätte die Behauptung der „Pflastersteine und Flaschenwürfe“ wie tausende Male zuvor und wie eben am 20.06. die Behauptung des „versuchten Totschlags“ gegriffen.

      Scheint schwer verständlich das es um den komischen Vorwurf des „schweren Landfriedensbruches“ geht der verhindert das die Menschen (nicht nur ich) über den 20.06. frei schreiben können.

    2. @Fred
      Dein Vorwurf und Deine Wertungen (Gejammere, lächerlich) sind eigentlich die Fortsetzung dessen, was die Aufklärung zum 20.6. so schwer macht, die Strategie von Polizei und Staatsanwaltschaft so wirkungsvoll sein lässt.

      Der Artikel von Kontext benennt ja einige „Merkwürdigkeiten“. Dazu gehört m.E. besonders, dass die Polizeiabsperrung in der Straße am Schlossgarten sehr massiv und sehr weit vorgezogen stand. Wer die letzten Minuten der live-streams betrachtet, gerade als die Montagsdemo von der Schillerstraße einbog, musste sich unweigerlich fragen, wie die vielen Leute in dem kleinen, freien Stück Platz finden sollte, was eigentlich gleich passiert, wenn die vorderen Reihen auf die Absperrung treffen und die hinteren Reihen nachdrücken werden … genau an der Stelle brachen sämtliche Übertragungen ab.

      Danach standen zwei Wertungen im Raum: „fröhliche Feierabendstimmung“ oder „schwerer Landfriedensbruch“. Die zweite Variante wurde ab dem späten Abend massiv in die Öffentlichkeit getragen. Die Darstellungen des Polizeipräsidenten wurden umgehend vom Aktionsbündnis und der Regierung übernommen. Es folgte eine Spaltungs- und Gewaltdiskussion, das Abdrängen der Jugendoffensive aus der Bewegung heraus – leider bis heute, obwohl längst klar sein konnte, dass hier vieles konstruiert wurde. Eine Welle der Repression folgte, bis hin zu Personalienfeststellungen und Verhaftungen aus den Montagsdemos heraus. Dieses repressive Klima, die massive Verunsicherung hat sicher einen großen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Proiteste gegen den Abriss des Südflügels und die Rodung des Schlossgartens gehabt. Wenn man also jemandem einen „Bärendienst“ vorwerfen möchte, dann beträfe der Vorwurf die Leute, die ohne Faktenkenntnis und Nachfragen bei den Anwesenden die Polizeidarstellung übernommen und aufrecht gehalten haben.

      Gerade schaeferweltweit dokumentiert die meisten Veranstaltungen mit sehr vielen Bildern – ohne sich dem Verdacht aussetzen zu müssen, selektive Bildauswahl zu betreiben. Die Vielzahl von Bildern ist also beinahe in der Lage, einen live-stream zu ersetzen, eine Stimmung zu vermitteln, auch wenn der Fotograf nicht an allen Orten des Geschehens sein kann. Aus der Zusammenschau der vielen Fotografen ergeben sich dann aber schlüssige Einschätzungen.

      Die Geschichte des Herrn Züfle kann bis zum heutigen Tag nur deshalb funktionieren, weil die Dokumentationen wirkungsvoll unterbunden werden konnten, und es somit einfacher war, einen Spaltpilz in den Protest zu treiben.

      Eine kleine Erinnerung dazu an die Frauenbewegung und den §218. Erst mit dem massenhaften, öffentlichen Bekenntnis „Ich habe abgetrieben“ wurde eine Öffentlichkeit hergestellt, die zu Veränderungen führte. Was wäre also geschehen, wenn Hunderte gesagt hätten „ich war dabei“?

      Juristisch bedeutend ist der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs, weil es sich um eine Gruppenstraftat handelt, sich also jeder Anwesende vermeintlich strafbar gemacht hätte, weil die StA umfassendere Ermittlungsmöglichkeiten erhält. Zu unterscheiden sind davon Sachbeschädigungen als Einzelstraftaten. Diese zu verhindern, dafür sind die BFE-Einheiten da – und sie waren in großer Anzahl anwesend. Sie haben weder dokumentiert, noch haben sie eingegriffen. Das Märchen der Gruppenstraftat war eben für die geplanten Zerstörungen von Bahnhof und Park viel wertvoller. Zwei Jahre unbewiesene Bedrohung, zwei Jahre Verunsicherung und Spaltung des Protestes. Dazu das (kalkulierbare) menschliche Versagen, falsche Einschätzungen zurückzunehmen, oder der Staatsanwaltschaft eigene Wahrnehmungen und Wertungen zuzutragen.

      Die Macht der Bilder – sie erwächst gleichermaßen aus Unterdrückung und folgender Selektion, oder aus Freiheit und Vielfalt. Die Dauerhaftigkeit von Lügengebäuden erfordert die andauernde Konstruktion der ersten Variante. Damit muss Schluss sein!

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