Alptraum vom Heidelberger Schloss in Lila

Eine fiktive Geschichte von „ElisabethHD“ die sie für ihre Schüler zum einfacheren verstehen einer Volksabstimmung geschrieben hat!

„Im November soll nach dem Willen der SPD eine landesweite Volksabstimmung über den Ausstieg aus der Finanzierung von Stuttgart 21 nach Art. 60(3) und Art. 60(5) der Landesverfassung durchgeführt werden. Wie solch eine Abstimmung funktioniert und welche Folgen sie haben kann, zeigt der „Alptraum vom Heidelberger Schloss in Lila“

Die weltberühmte rote Sandsteinruine am Berghang über dem Neckar verdankt ihren Namen zwar der Stadt Heidelberg, sie gehört aber dem Land Baden-Württemberg.
So konnte es einst im Parlament des Landes zu dieser folgenschweren Entscheidung kommen: Weil die Schwarzen, Gelben und Roten im Landtag Angst hatten, man könne sie für provinziell und rückständig halten, beschlossen sie:
Das Heidelberger Schloss wird lila lackiert – als unübersehbares Zeichen für die Modernität unseres Ländles und die Zukunftsfähigkeit der Stadt.
Die meisten Heidelberger hielten das für einen Aprilscherz, aber während sie sich noch darüber schief lachten, hatten Bürgermeister und Gemeinderat – in Schnapslaune und benebelt von rosigsten Tourismusprognosen – schon dem „Vertrag zur Lackierung des Heidelberger Schlosses in Lila“ zugestimmt.
Da verging den Heidelbergern das Lachen. (Nein, nicht allen – es gab auch ein paar, die fanden die Idee mit dem Schloss im lila Lackmantel so richtig super-mega-oberaffengeil und beteiligten sich enthusiastisch am „I love lila Castles“-Modellbauwettbewerb, der von der Maler- und Lackierer-Innung, einem regionalen Gerüstbauer, diversen Touristikunternehmen und einem großen Lebensmittelkonzern großzügig gesponsort wurde.)
Aber die meisten Heidelberger wollten keine lila Schlossruine. Jede Woche gab es einen lautstarken Protestzug durch die Heidelberger Hauptstraße mit der Parole
„Lila Lack fer unser Lissett? Nie im Leewe – mit uns net!“
(Lisett – Abkürzung für die legendäre Lieselotte von der Pfalz, die ihre Kindheit und Jugend im Heidelberger Schloss verbrachte.)
Dann gab es zum Glück Wahlen im Ländle, und die Roten kamen zusammen mit den Grünen an die Regierung, und die Grünen wollten auch kein Heidelberger Schloss in Lila.
Ihr „Gesetz zum Ausstieg aus der Finanzierung der lila Lackeimer“ wurde aber von der schwarz-gelb-roten Mehrheit im Landtag abgelehnt. Weil die Roten aber der Ansicht waren, dass in einer Demokratie die Kälber ihrer Schlachtung zustimmen sollten, wurde vor dem Vollzug der Lackierung eine Volksabstimmung nach den Artikeln 60(3) und 60(5) der Landesverfassung angesetzt.
So sollten die siebeneinhalb Millionen Wahlberechtigte im ganzen Land über das Ausstiegsgesetz abstimmen. Wenn, nach dem Artikel 60(5) der Landesverfassung, ein Drittel all dieser Abstimmungsberechtigten für den Ausstieg stimmten, würden die Heidelberger von der lila Lackierung verschont bleiben.
Die Heidelberger waren selbstverständlich gegen eine solche Abstimmung im ganzen Land: „Dene in Konschtanz oder in Schtuttgart ist doch unser Schloss worschtegal – un wann die zu faul sinn zum Abstimme, dann henn mir den lila Scheiß am Hals!“ – „Was die Franzose von unserm Schloss übrig gelasse habe, solle mir uns jetzt von de Schwoobe un Gelbfießler kaputt mache lasse?“, hieß es überall. In einer lauen Sommernacht wurde der Glockenturm mit einer riesigen lila Plane verhüllt mit der Aufschrift „Von Ulm über Freiburg bis Baden-Oos, da gibt’s nicht nur Dichter und Denker. Da sind Millionen ahnungslos – und die macht IHR uns zum Richter und Henker!“
Der Protest war aber erfolglos; die landesweite Abstimmung wurde trotzdem eingeleitet.
Die Heidelberger waren natürlich fast alle für den Ausstieg. Sie stellten aber nur gut ein Prozent der Stimmberechtigten. Die allermeisten Touristen fanden ein Heidelberger Schloss in Lila auch ziemlich abartig. (Aber dummerweise kamen sehr viele von ihnen nicht aus Ulm oder Karlsruhe, sondern aus Shanghai, Alabama, Köln oder Hamburg und hatten kein Stimmrecht in Baden-Württemberg.)
Es gab in Heidelberg und im restlichen Land aber auch einige, die geradezu vernarrt waren in die Idee vom lila Heidelberger Schloss. Und es gab sehr, sehr viele, die sich bei diesem Thema nur noch an die Stirn tippten und die Ohren zuhielten, weil sie von diesem ganzen lila Irrsinn nichts mehr hören wollten.
Bei der Abstimmung beteiligten sich in und um Heidelberg herum 70% der Stimmberechtigten, 60% wollten den roten Sandstein behalten, 10% waren für lila Lack. Im Raum Mannheim bis Bruchsal, Weinheim und Mosbach war die Beteiligung auch recht hoch, da gingen 50% zur Abstimmung, und 20% stimmten für lila, weil es noch ein paar alte Rechnungen zu begleichen gab und sie die Heidelberger sowieso für Lackaffen hielten. Im übrigen Baden-Württemberg war die Beteiligung ziemlich schwach. Nur jeder Zehnte ging zur Abstimmung, ein Viertel von denen wollte eine lila lackierte Schlossruine in Heidelberg.

Abstimmungsergebnis landesweit (grob überschlagen):
Beteiligung 16,5% aller Stimmberechtigten
Für Ausstieg aus lila 13% aller Stimmberechtigten
Für lila Lack 3,5% aller Stimmberechtigten

Das Zustimmungsquorum von 33% zum Ausstiegsgesetz wurde also nicht erreicht.

Das Heidelberger Schloss wurde lila lackiert.

Aber erst, nachdem fünfzig Polizei-Hundertschaften, unterstützt von Hubschraubern mit Tränengas (Wasserwerfer kamen nicht den Schlossberg hoch) nach drei Tagen die Tausende von empörten Heidelbergern und Sympathisanten aus dem Land und aus aller Welt weggeräumt und das Schloss weiträumig mit Stacheldraht umzäunt hatten.
Beim Einweihungsfest kam es zu unschönen Szenen: Aus einer aufgebrachten Menge heraus wurden Minister, diverse Parteivorsitzende und sonstige Leistungsträger bei ihrem Einzug ins frisch lackierte lila Schloss mit faulen Eiern, Tomaten und Heidelbeeren beworfen; auch wurden an den Dienstlimousinen zahlreiche Autoreifen zerstochen.
Bei der Eröffnung der Ausstellung „Avantgarde violett“ wurden Künstler und Ehrengäste mit unflätigen Pöbeleien empfangen, und der zentrale Ausstellungsraum musste gesperrt werden, weil Unbekannte dort einen großen Haufen angefaulter Zwetschgen mit einem Zettel „Eure Kunst? Lila Dünnschiss!“ deponiert hatten.
Der Besuch des Bundespräsidenten und die Veranstaltungsreihe der Landesregierung „Die Welt zu Gast im Ländle“ wurden danach aus Sicherheitsgründen nach Schwetzingen verlegt. Der Lebensmittelkonzern hat seine Werbekampagne mit dem lila Schloss auf lila Schokoherzen vorzeitig abgebrochen.
Touristen, besonders die aus Baden-Württemberg, beklagen sich inzwischen oft über die Unfreundlichkeit der Heidelberger. Fast jede Woche wird ein Karlsruher oder Stuttgarter, der leichtsinnigerweise erwähnt hat, dass er, statt mit „ja“ zu stimmen, bei Omas Geburtstag oder auf Mallorca war, mit einem blauen Auge zum Notarzt gebracht. Ausländischen Reisegruppen wird empfohlen, ihre „I love lila Castles“-Buttons vor dem Verlassen des Reisebusses abzulegen.
Die Kosten für das Entfernen von Graffiti auf dem lila Lack gehen monatlich in die Zehntausende. Die Landesregierung erwägt deshalb inzwischen den Einsatz privater Wachdienste und die Schließung des Schlossareals bei Einbruch der Dunkelheit. Die Stadt Heidelberg befürchtet durch solche Maßnahmen allerdings weitere negative Auswirkungen auf den Tourismus.“