142. Montagsdemo

Im Spätjahr 1972 wurde Thomas Felder von der Polizei unter dem Protest seiner Zuhörerschar vom Stuttgarter Marktplatz abgeführt. Als Straftatbestand bekam er zu lesen: »Sie haben in Stuttgart gebettelt, indem Sie sangen und Gitarre spielten… Übertretung, strafbar nach §§ 361 Ziff. 4 StGB… Gegen den Beschuldigten wird eine Geldstrafe von 20,- DM festgesetzt, bei Uneinbringlichkeit 1 Tag Freiheitsstrafe. Dem Beschuldigten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt«. Die Stuttgarter Behörde hatte bis dato noch nie einen Straßenmusikanten erlebt und beschlagnahmte auch noch das Geld aus seinem Gitarrenkoffer, das die Passanten ihm eingeworfen hatten. Er gab weiter Straßen-Konzerte in Stuttgart und setzte sich damit über den Bettelparagraphen hinweg, der nicht länger zu halten war. Was wäre eine Fußgängerzone heute ohne lebendige Musik?

Auf demselben Marktplatz singt er nun – vierzig Jahre später, am Montag, den 1. Oktober ab 17.45 Uhr – dieses Mal unter massivem Polizei- und Verfassungsschutz: Er eröffnet die Kundgebung zur 142. Montagsdemonstration mit einem Lied, in dem man u.a. Herrn Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann »singen« hört. Ihm ist das Werk gewidmet. In Felder’schen Sprechgesangsblasen plaudert der MP minutenlang aus dem Nähkästchen über vergangene Zeiten und über die Zwänge, in denen er nun das »Milliardengrab S21 griddisch bekleiden« und bis zum bitteren Ende durchziehen muss.

Thomas Felder hatte Kretschmann und die Grünen im Wahlkampf 1980 bis zum Einzug in den Landtag unterstützt mit seinen Liedern, die damals viel im Radio gesendet wurden. Der Liedermacher wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, mehrere seiner vierzehn Alben mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Er gab über tausend Konzerte bis zur Fusion der beiden süddwestdeutschen Funkhäuser. Im SWR ist es still um ihn geworden. Selbst in Wunschsendungen hat man keine Chance seine Stimme zu hören, weil sie nicht in eines der angebotenen Formate passt.

Redner auf der Demo – Dr. Christoph Engelhardt „Stuttgart 21 ist schon lange tot – und keiner hat’s gemerkt!“ und Jürgen Hugger „Politik für wen?“

( Alexander Schäfer auf schaeferweltweit.de )